Momo
gäb's nicht die anderen zwei, heißt es. Und er ist der einzige, der da ist.“ Sie überlegte und rief plötzlich: „Das ist jetzt! Dieser Augenblick! Die Vergangenheit sind ja die gewesenen Augenblicke und die Zukunft sind die, die kommen! Also gäb's beide nicht, wenn es die Gegenwart nicht gäbe. Das ist ja richtig!“
Momos Backen begannen vor Eifer zu glühen. Sie fuhr fort: „Aber was bedeutet das, was jetzt kommt? Und doch gibt's den Dritten, um den es sich handelt, nur weil sich der Erste in den Zweiten verwandelt… Das heißt also, daß es die Gegenwart nur gibt, weil sich die Zukunft in Vergangenheit verwandelt!“
Sie schaute Meister Hora überrascht an. „Das stimmt ja! Daran hab' ich noch nie gedacht. Aber dann gibt's ja den Augenblick eigentlich gar nicht, sondern bloß Vergangenheit und Zukunft? Denn jetzt zum Beispiel, dieser Augenblick - wenn ich darüber rede, ist er ja schon wieder Vergangenheit! Ach, jetzt versteh' ich, was das heißt: Denn willst du ihn anschaun, so siehst du nur wieder immer einen der anderen Brüder! Und jetzt versteh' ich auch das übrige, weil man meinen kann, daß es überhaupt nur einen von den drei Brüdern gibt: nämlich die Gegenwart, oder nur Vergangenheit und Zukunft. Oder eben gar keinen, weil es ja jeden bloß gibt, wenn es die anderen auch gibt! Da dreht sich einem ja alles im Kopf!“
„Aber das Rätsel ist noch nicht zu Ende“, sagte Meister Hora. „Was ist denn das große Reich, das die drei gemeinsam regieren und das sie zugleich selber sind?“
Momo schaute ihn ratlos an. Was konnte das wohl sein? Was war denn Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, alles zusammen? Sie schaute in dem riesigen Saal umher. Ihr Blick wanderte über die tausend und abertausend Uhren, und plötzlich blitzte es in ihren Augen.
„Die Zeit!“ rief sie und klatschte in die Hände, „ja, das ist die Zeit! Die Zeit ist es!“ Und sie hüpfte vor Vergnügen ein paar Mal.
„Und nun sag mir auch noch, was das Haus ist, in dem die drei Brüder wohnen!“ forderte Meister Hora sie auf.
„Das ist die Welt“, antwortete Momo.
„Bravo!“ rief nun Meister Hora und klatschte ebenfalls in die Hände. „Meinen Respekt, Momo! Du verstehst dich aufs Rätsellösen! Das hat mir wirklich Freude gemacht!“
„Mir auch!“ antwortete Momo und wunderte sich im stillen ein wenig, warum Meister Hora sich so darüber freute, daß sie das Rätsel gelöst hatte.
Sie gingen weiter durch den Uhrensaal und Meister Hora zeigte ihr noch andere, seltene Dinge, aber Momo war noch immer in Gedanken bei dem Rätsel.
„Sag mal“, fragte sie schließlich, „was ist denn die Zeit eigentlich?“
„Das hast du doch gerade selbst herausgefunden“, antwortete Meister Hora.
„Nein, ich meine“, erklärte Momo, „die Zeit selbst – sie muß doch irgend etwas sein. Es gibt sie doch. Was ist sie denn wirklich?“
„Es wäre schön“, sagte Meister Hora, „wenn du auch das selbst beantworten könntest.“ Momo überlegte lange.
„Sie ist da“, murmelte sie gedankenverloren, „das ist jedenfalls sicher. Aber anfassen kann man sie nicht. Und festhalten auch nicht. Vielleicht ist sie so was wie ein Duft? Aber sie ist auch etwas, das immerzu vorbeigeht. Also muß sie auch irgendwo herkommen. Vielleicht ist sie so was wie der Wind? Oder nein! Jetzt weiß ich's! Vielleicht ist sie eine Art Musik, die man bloß nicht hört, weil sie immer da ist. Obwohl, ich glaub', ich hab' sie schon manchmal gehört, ganz leise.“
„Ich weiß“, nickte Meister Hora, „deswegen konnte ich dich ja zu mir rufen.“
„Aber es muß noch was anderes dabei sein“, meinte Momo, die dem Gedanken noch weiter nachhing, „die Musik ist nämlich von weither gekommen, aber geklungen hat sie ganz tief in mir drin. Vielleicht ist es mit der Zeit auch so.“
Sie schwieg verwirrt und fügte dann hilflos hinzu: „Ich meine, so wie die Wellen auf dem Wasser durch den Wind entstehen. Ach, das ist wahrscheinlich alles Unsinn, was ich rede!“
„Ich finde“, sagte Meister Hora, „das hast du sehr schön gesagt. Und deshalb will ich dir nun ein Geheimnis anvertrauen: Hier aus dem Nirgend-Haus in der Niemals-Gasse kommt die Zeit aller Menschen.“
Momo blickte ihn ehrfürchtig an.
„Oh“, sagte sie leise, „machst du sie selbst?“
Meister Hora lächelte wieder. „Nein, mein Kind, ich bin nur der Verwalter. Meine Pflicht ist es, jedem Menschen die Zeit zuzuteilen, die ihm bestimmt ist.“
„Könntest du es dann nicht ganz einfach so
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