Momo
Stunden eingesparter Zeit. Machen Sie sich keine Sorgen darüber, wie wir in den Besitz dieser Zeit kommen werden, das ist unsere Sache. Sie haben lediglich die Aufgabe, diese Zeit einzusparen. Wie, das ist Ihre Sache. Wenn Sie damit einverstanden sind, dann werden wir dafür sorgen, daß Sie im Laufe der nächsten Tage hier entlassen werden. Wenn nicht, dann bleiben Sie eben für immer hier, und Momo bleibt für immer bei uns. Überlegen sie sich's. Wir machen dieses großzügige Angebot nur dies eine Mal. Also?“
Beppo schluckte zweimal und krächzte dann: „Einverstanden.“
„Sehr vernünftig“, sagte der graue Herr zufrieden, „also denken Sie daran: Völliges Stillschweigen und hunderttausend Stunden. Sobald wir die haben, bekommen Sie die kleine Momo wieder. Machen Sie's gut, mein Bester.“
Damit verließ der graue Herr den Schlafsaal. Die Rauchfahne, die hinter ihm zurückblieb, schien in der Dunkelheit matt zu leuchten wie ein Irrlicht.
Von dieser Nacht an erzählte Beppo seine Geschichte nicht mehr. Und wenn man ihn fragte, warum er sie früher erzählt habe, dann zuckte er nur traurig die Schultern. Wenige Tage später schon schickte man ihn nach Hause.
Aber Beppo ging nicht nach Hause, sondern geradewegs zu jenem großen Haus mit dem Hof, wo er und seine Kollegen immer ihre Besen und Karren in Empfang nahmen. Er holte seinen Besen, ging damit in die große Stadt und fing an zu kehren.
Aber nun kehrte er nicht mehr wie früher, bei jedem Schritt einen Atemzug und bei jedem Atemzug einen Besenstrich, sondern jetzt tat er es hastig und ohne Liebe zur Sache und nur um Stunden einzubringen. Mit peinigender Deutlichkeit wußte er, daß er damit seine tiefste Überzeugung, ja, sein ganzes bisheriges Leben verleugnete und verriet, und das machte ihn krank vor Widerwillen gegen das, was er tat. Wäre es nur um ihn gegangen, er wäre lieber verhungert, als sich selbst so untreu zu werden. Aber es ging ja um Momo, die er freikaufen mußte, und dies war die einzige Art Zeit zu sparen, die er kannte. Er kehrte bei Tag und bei Nacht, ohne jemals nach Hause zu gehen. Wenn die Erschöpfung ihn übermannte, setzte er sich auf eine Anlagenbank oder auch einfach auf den Rinnstein und schlief ein wenig. Dann fuhr er nach kurzem wieder auf und kehrte weiter. Ebenso hastig würgte er zwischendurch rasch einmal irgend etwas zu essen hinunter. Zu seiner Hütte bei dem Amphitheater ging er nicht mehr zurück. Er kehrte durch Wochen und durch Monate. Es kam der Herbst, und es kam der Winter. Beppo kehrte. Und es kam der Frühling und wieder der Sommer. Beppo bemerkte es kaum, er kehrte und kehrte, um die hunderttausend Stunden Lösegeld zu ersparen.
Die Leute in der großen Stadt hatten keine Zeit, um auf den kleinen alten Mann zu achten.
Und die wenigen, die es doch taten, tippten sich hinter seinem Rücken an die Stirn, wenn er keuchend an ihnen vorüberhastete und den Besen schwang, als gelte es sein Leben. Aber daß man ihn für närrisch hielt, war ja nichts Neues für Beppo, und er beachtete es kaum.
Nur wenn ihn manchmal jemand fragte, warum er es denn so eilig habe, dann unterbrach er seine Arbeit für einen Augenblick, schaute den Frager ängstlich und voll Trauer an und legte den Finger an die Lippen. – Die schwierigste Aufgabe stellte es für die grauen Herren dar, die Kinder unter Momos Freunden nach ihren Plänen zu lenken. Nachdem Momo verschwunden war, hatten die Kinder sich dennoch, sooft es nur ging, im alten Amphitheater versammelt. Sie hatten immer neue Spiele erfunden, ein paar alte Kisten und Schachteln genügten ihnen, um darin fabelhafte Weltreisen zu unternehmen oder um daraus Burgen und Schlösser zu errichten. Sie hatten weiterhin ihre Pläne geschmiedet und einander Geschichten erzählt, kurzum, sie hatten einfach so getan, als sei Momo noch mitten unter ihnen. Und es hatte sich erstaunlicherweise gezeigt, daß es dadurch fast so war, als sei sie tatsächlich noch da.
Außerdem hatten diese Kinder keinen Augenblick daran gezweifelt, daß Momo wiederkommen würde. Darüber war zwar niemals gesprochen worden, aber das war auch gar nicht nötig. Die stillschweigende Gewißheit verband die Kinder miteinander. Momo gehörte zu ihnen und war ihr heimlicher Mittelpunkt, ganz gleich, ob sie nun da war oder nicht.
Dagegen hatten die grauen Herren nicht ankommen können. Wenn sie die Kinder nicht unmittelbar unter ihren Einfluß bringen konnten, um sie von Momo loszureißen, dann mußten sie es eben über
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