Momo
einen Umweg zuwege bringen. Und dieser Umweg waren die Erwachsenen, die ja über die Kinder zu bestimmen hatten. Nicht alle Erwachsenen, versteht sich, aber diejenigen, die sich als Helfershelfer eigneten, und das waren leider gar nicht wenige.
Obendrein waren es nun die eigenen Waffen der Kinder, welche die grauen Herren gegen sie verwendeten.
Plötzlich erinnerten sich nämlich einige Leute an die Umzüge, an die Plakate und Inschriften der Kinder.
„Wir müssen etwas unternehmen“, hieß es, „denn es geht nicht an, daß immer mehr und mehr Kinder allein sind und vernachlässigt werden. Den Eltern ist kein Vorwurf zu machen, denn das moderne Leben läßt ihnen eben keine Zeit, sich genügend mit ihren Kindern zu beschäftigen. Aber die Stadtverwaltung muß sich darum kümmern.“
„Es geht nicht an“, sagten andere, „daß der reibungslose Ablauf des Straßenverkehrs durch herumlungernde Kinder gefährdet wird. Die Zunahme von Unfällen, die durch Kinder auf den Straßen verursacht werden, kostet immer mehr Geld, das man anderweitig vernünftiger ausgeben könnte.“
„Kinder ohne Aufsicht“, erklärten wieder andere, „verwahrlosen moralisch und werden zu Verbrechern. Die Stadtverwaltung muß dafür sorgen, daß alle diese Kinder erfaßt werden. Man muß Anstalten schaffen, wo sie zu nützlichen und leistungsfähigen Mitgliedern der Gesellschaft erzogen werden.“
Und abermals andere meinten: „Kinder sind das Menschenmaterial der Zukunft. Die Zukunft wird eine Zeit der Düsenmaschinen und der Elektrogehirne. Ein Heer von Spezialisten und Facharbeitern wird notwendig sein, um alle diese Maschinen zu bedienen. Aber anstatt unsere Kinder auf diese Welt von morgen vorzubereiten, lassen wir es noch immer zu, daß viele von ihnen Jahre ihrer kostbaren Zeit mit nutzlosen Spielen verplempern. Es ist eine Schande für unsere Zivilisation und ein Verbrechen an der künftigen Menschheit!“ Das alles leuchtete den Zeit-Sparern ungemein ein. Und da schon sehr viele Zeit-Sparer in der großen Stadt waren, gelang es ihnen in ziemlich kurzer Zeit, die Stadtverwaltung von der Notwendigkeit zu überzeugen, etwas für die vielen vernachlässigten Kinder zu tun. Daraufhin wurden in allen Stadtvierteln sogenannte „Kinder-Depots“ gegründet. Das waren große Häuser, wo alle Kinder, um die sich niemand kümmern konnte, abgeliefert werden mußten und je nach Möglichkeit wieder abgeholt werden konnten.
Es wurde strengstens verboten, daß Kinder auf den Straßen oder in den Grünanlagen oder sonstwo spielten. Wurde ein Kind doch einmal dabei erwischt, so war sofort jemand da, der es in das nächste Kinder-Depot brachte. Und die Eltern mußten mit einer gehörigen Strafe rechnen.
Auch Momos Freunde entgingen dieser neuen Regelung nicht. Sie wurden voneinander getrennt, je nach der Gegend, aus der sie kamen, und wurden in verschiedene Kinder-Depots gesteckt. Davon, daß sie sich hier selbst Spiele einfallen lassen durften, war natürlich keine Rede mehr. Die Spiele wurden ihnen von Aufsichtspersonen vorgeschrieben, und es waren nur solche, bei denen sie irgend etwas Nützliches lernten. Etwas anderes verlernten sie freilich dabei, und das war: sich zu freuen, sich zu begeistern und zu träumen. Nach und nach bekamen die Kinder Gesichter wie kleine Zeit-Sparer. Verdrossen, gelangweilt und feindselig taten sie, was man von ihnen verlangte. Und wenn sie doch einmal sich selbst überlassen blieben, dann fiel ihnen nichts mehr ein, was sie hätten tun können. Das einzige, was sie nach all dem noch konnten, war Lärm machen – aber es war natürlich kein fröhlicher Lärm, sondern ein wütender und böser.
Aber die grauen Herren selbst kamen zu keinem der Kinder. Das Netz, das sie über die große Stadt gewebt hatten, war nun dicht und - wie es schien – unzerreißbar. Selbst den schlausten Kindern gelang es nicht, durch die Maschen zu schlüpfen. Der Plan der grauen Herren war ausgeführt. Alles war für Momos Rückkehr vorbereitet. Von da an hatte das alte Amphitheater leer und verlassen dagelegen.
Und nun saß Momo also auf den steinernen Stufen und wartete auf ihre Freunde. Den ganzen Tag seit ihrer Rückkehr hatte sie so gesessen und gewartet. Aber niemand war gekommen.
Niemand. Die Sonne senkte sich dem westlichen Horizont zu. Die Schatten wuchsen, und es wurde kalt.
Endlich stand Momo auf. Sie war hungrig, denn niemand hatte daran gedacht, ihr etwas zu essen zu bringen. Das war noch nie geschehen. Selbst Gigi und Beppo
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