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Momo

Momo

Titel: Momo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
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beschloß er trotz aller berechtigten Einwände, die Gigi vorgebracht hatte, zur Polizei zu gehen. „Immer noch besser“, sagte er sich, „sie stecken Momo wieder in solch ein Heim mit Gittern vor den Fenstern, als daß die Grauen sie gefangenhalten. Falls sie überhaupt noch am Leben ist. Aus so einem Heim ist sie schon mal ausgerissen und kann es wieder tun. Vielleicht kann ich auch dafür sorgen, daß sie gar nicht erst 'reinkommt. Aber erst muß man sie jetzt finden.“
Er ging also zur nächsten Polizeiwache, die am Stadtrand lag. Eine Weile stand er noch vor der Tür herum und drehte seinen Hut in den Händen, dann faßte er sich ein Herz und ging hinein. „Sie wünschen?“ fragte der Polizist, der gerade damit beschäftigt war, ein langes und schwieriges Formular auszufüllen. Beppo brauchte eine Weile, ehe er hervorbrachte: „Es muß da nämlich etwas Schreckliches geschehen sein.“
„So?“ fragte der Polizist, der immer noch weiterschrieb, „worum handelt es sich denn?“
„Es handelt sich“, antwortete Beppo, „um unsere Momo.“
„Ein Kind?“
„Ja, ein kleines Mädchen.“
„Ist es Ihr Kind?“
„Nein“, sagte Beppo verwirrt, „das heißt, ja, aber der Vater bin ich nicht.“
„Nein, das heißt ja!“ sagte der Polizist ärgerlich. „Wessen Kind ist es denn? Wer sind seine Eltern?“
„Das weiß niemand“, antwortete Beppo.
„Wo ist das Kind denn gemeldet?“
„Gemeldet?“ fragte Beppo. „Na, ich denke, bei uns. Wir kennen es alle.“
„Also nicht gemeldet“, stellte der Polizist seufzend fest. „Wissen Sie, daß so was verboten ist? Wo kämen wir denn da hin! Bei wem wohnt das Kind?“
„Bei sich“, erwiderte Beppo, „das heißt, im alten Amphitheater. Aber da wohnt sie ja nun nicht mehr. Sie ist weg.“
„Augenblick mal“, sagte der Polizist, „wenn ich richtig verstehe, dann wohnte bis jetzt in der Ruine da draußen ein vagabundierendes kleines Mädchen namens… wie sagten Sie?“
„Momo“, antwortete Beppo.
Der Polizist begann alles aufzuschreiben.
„… namens Momo. Momo und wie weiter? Den ganzen Namen, bitte!“
„Momo und nichts weiter“, sagte Beppo.
Der Polizist kratzte sich unter dem Kinn und blickte Beppo bekümmert an.
„Also so geht das nicht, mein Guter. Ich will Ihnen ja helfen, aber so kann man keine Anzeige aufsetzen. Nun sagen Sie mir erst mal, wie Sie selbst heißen.“
„Beppo“, sagte Beppo.
„Und wie weiter?“
„Beppo Straßenkehrer.“
„Den Namen will ich wissen, nicht den Beruf!“
„Es ist beides“, erklärte Beppo geduldig.
Der Polizist ließ den Federhalter sinken und vergrub sein Gesicht in den Händen.
„Gott im Himmel!“ murmelte er verzweifelt. „Warum muß gerade ich jetzt Dienst haben.“
Dann richtete er sich auf, straffte seine Schultern, lächelte dem alten Mann aufmunternd zu und sagte mit der Sanftheit eines Krankenpflegers: „Die Personalien können wir ja später aufnehmen. Jetzt erzählen Sie erst mal der Reihe nach, was eigentlich war und wie alles gekommen ist.“
„Alles?“ fragte Beppo zweifelnd.
„Alles, was zur Sache gehört“, antwortete der Polizist. „Ich habe zwar überhaupt keine Zeit, ich muß bis Mittag diesen ganzen Berg von Formularen da ausgefüllt haben, ich bin am Rande meiner Kräfte und meiner Nerven -, aber lassen Sie sich ruhig Zeit und erzählen Sie, was Sie auf dem Herzen haben.“
Er lehnte sich zurück und schloß die Augen mit dem Ausdruck eines Märtyrers, der gerade auf dem Rost gebraten wird. Und der alte Beppo begann, auf seine wunderliche und umständliche Art, die ganze Geschichte zu erzählen, angefangen von Momos Auftauchen und ihrer besonderen Eigenschaft, bis zu den grauen Herren auf der Müllhalde, die er selbst belauscht hatte.
„Und in derselben Nacht“, schloß er, „ist Momo verschwunden.“ Der Polizist blickte ihn lange und gramerfüllt an. „Mit anderen Worten“, sagte er schließlich, „da war einmal ein höchst unwahrscheinliches, kleines Mädchen, dessen Existenz man nicht beweisen kann, und das ist von so einer Art Gespenster, die es ja bekanntlich nicht gibt, wer weiß wohin entführt worden. Aber auch das ist nicht sicher. Und darum soll sich nun die Polizei kümmern?“
„Ja, bitte!“ sagte Beppo. Der Polizist beugte sich vor und rief barsch: „Hauchen Sie mich mal an!“
Beppo verstand diese Aufforderung nicht, er zuckte die Schultern, hauchte aber dann gehorsam dem Polizisten ins Gesicht.
Der schnüffelte und schüttelte den Kopf.

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