Momo
„Betrunken sind Sie offenbar nicht.“
„Nein“, murmelte Beppo, rot vor Verlegenheit, „bin ich noch nie gewesen.“
„Warum erzählen Sie mir dann diesen ganzen Unsinn?“ fragte der Polizist. „Halten Sie die Polizei denn für so blöd, daß sie auf solche Ammenmärchen hereinfällt?“
„Ja“, antwortete Beppo arglos.
Jetzt riß dem Polizisten endgültig der Geduldsfaden. Er sprang von seinem Stuhl auf und hieb mit der Faust auf das lange und schwierige Formular. „Jetzt reicht es mir aber!“ schrie er mit rotem Kopf. „Verschwinden Sie auf der Stelle, sonst sperre ich Sie wegen Amtsbeleidigung ein!“
„Verzeihung“, murmelte Beppo eingeschüchtert, „ich hab' es anders gemeint. Ich wollte sagen…“
„'raus!“ brüllte der Polizist.
Beppo drehte sich um und ging hinaus.
Während der nächsten Tage tauchte er in verschiedenen anderen Polizeistationen auf. Die Szenen, die sich dort abspielten, unterschieden sich kaum von der ersten. Man warf ihn hinaus, man schickte ihn freundlich nach Hause, oder man vertröstete ihn, um ihn los zu werden.
Aber einmal geriet Beppo an einen höheren Beamten, der weniger Sinn für Humor hatte als seine Kollegen. Er ließ sich unbewegten Gesichts die ganze Geschichte erzählen, dann sagte er kalt: „Dieser alte Mann ist verrückt. Man wird feststellen müssen, ob er gemeingefährlich ist. Bringt ihn in die Arrestzelle!“
In der Zelle mußte Beppo einen halben Tag warten, dann wurde er von zwei Polizisten in ein Auto verfrachtet. Sie fuhren mit ihm quer durch die Stadt zu einem großen, weißen Gebäude, das Gitter vor den Fenstern hatte. Aber es war kein Gefängnis oder dergleichen, wie Beppo zuerst dachte, sondern ein Krankenhaus für Nervenleiden. Hier wurde er gründlich untersucht.
Der Professor und die Krankenpfleger waren freundlich zu ihm, sie lachten ihn nicht aus und schimpften nicht mit ihm, sie schienen sich sogar sehr für seine Geschichte zu interessieren, denn er mußte sie ihnen immer und immer wieder erzählen. Obgleich sie ihm nie widersprachen, hatte Beppo auch nie das Gefühl, daß sie ihm wirklich glaubten. Er wurde nicht recht schlau aus ihnen, aber gehen ließen sie ihn auch nicht.
Jedesmal wenn er fragte, wann er denn nun hinausdürfe, hieß es: „Bald, aber im Augenblick brauchen wir Sie noch. Sie müssen das verstehen, die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen, aber wir kommen voran.“
Und Beppo, der glaubte, es handle sich um Untersuchungen nach dem Verbleib der kleinen Momo, faßte sich in Geduld. Man hatte ihm ein Bett in einem großen Schlafsaal angewiesen, wo noch viele andere Patienten schliefen. Eines Nachts wachte er auf und sah im schwachen Licht der Notbeleuchtung, daß jemand neben seinem Bett stand. Erst entdeckte er nur das rote Leuchtpünktchen einer glimmenden Zigarre, aber dann erkannte er den runden steifen Hut und die Aktentasche, die die Gestalt im Dunkeln trug. Er begriff, daß es einer der grauen Herren war, ihm wurde kalt bis ins Herz hinein und er wollte um Hilfe rufen.
„Still!“ sagte die aschenfarbene Stimme im Dunkeln, „ich habe den Auftrag, Ihnen ein Angebot zu machen. Hören Sie mir zu und antworten Sie mir erst, wenn ich Sie dazu auffordere! Sie haben ja nun ein wenig sehen können, wie weit unsere Macht bereits reicht.
Es hängt ganz von Ihnen ab, ob Sie noch mehr davon kennenlernen werden. Sie können uns zwar nicht im geringsten damit schaden, daß Sie diese Geschichte über uns jedem auf die Nase binden, aber angenehm ist es uns trotzdem nicht. Übrigens haben Sie natürlich völlig recht mit der Annahme, daß Ihre kleine Freundin Momo von uns gefangen gehalten wird.
Aber geben Sie die Hoffnung auf, daß man sie je bei uns finden kann. Das wird niemals geschehen. Und durch Ihre Bemühungen, sie zu befreien, machen Sie dem armen Kind seine Lage nicht gerade angenehmer. Für jeden Ihrer Versuche, mein Bester, muß sie büßen. Überlegen Sie sich also in Zukunft, was sie tun und sagen.“ Der graue Herr blies einige Rauchringe und beobachtete mit Genugtuung die Wirkung, die seine Rede auf den alten Beppo hatte. Denn der glaubte jedes Wort.
„Um mich so kurz wie möglich zu fassen, denn auch meine Zeit ist kostbar“, fuhr der graue Herr fort, „mache ich Ihnen folgendes Angebot: Wir geben Ihnen das Kind zurück unter der Bedingung, daß Sie nie wieder ein Wort über uns und unsere Tätigkeit verlieren. Außerdem fordern wir von Ihnen, sozusagen als Lösegeld, die Summe von hunderttausend
Weitere Kostenlose Bücher