Mona Lisa Overdrive
lachte. Aus den Augen des Mannes funkelte heiliger Zorn, ein Muskel zuckte an seiner furchigen Wange. Mona bog nach links in die Reihen von Obsthändlern, die Orangen und Grapefruits in Pyramiden auf ihren zerbeulten Metallkarren stapelten.
Sie betrat ein niedriges, höhlenartiges Gebäude, das ganze Fluchten von seßhafteren Geschäften beherbergte: da gab's Fisch, abgepackte Lebensmittel, billige Haushaltswaren, Imbißtheken mit einem Dutzend warmer Speisen. Es war kühler hier im Schatten und etwas ruhiger. Sie fand einen Wonton-Stand* mit sechs leeren Stühlen und nahm Platz. Der chinesische Koch sprach sie auf spanisch an; sie bestellte durch Gesten. Er brachte ihr Suppe in einer Plastikschale; sie bezahlte mit ihrem kleinsten Schein, und er gab ihr mit acht speckigen Kartonmarken heraus.
Wenn es Eddy ernst war mit dem Verduften, dann könnte sie sie nicht mehr einlösen; falls sie in Florida blieben, könnte sie sich jederzeit Wonton holen. Sie schüttelte den Kopf. Es muß klappen, muß. Sie schob die abgegriffenen, runden, gelben Marken über die lackierte
Furnierholztheke zurück. »Behalt die mal.« Der Koch, der einen blauen Plastikzahnstocher im Mundwinkel stecken hatte, kassierte sie ein, ohne eine Miene zu verziehn.
* Wonton: chin. Suppe mit fleischgefüllten Teigtaschen. — $QP G hEHUV
Sie nahm Stäbchen aus dem Glas auf dem Tresen und fischte eine lappige Teigtasche aus der Schale. Dabei wurde sie von einem Macker beobachtet im Gang hinter den Töpfen und Kochern.
Einem Stecher, der sich als was anderes darstellen wollte. Weißes Sporthemd und Sonnenbrille.
Vor allem wie die dastehn, überlegte sie. Aber er hatte auch die Zähne dafür und den
Haarschnitt, obwohl er einen Bart trug. Er tat so, als würde er sich umsehen, einkaufen, hatte die Hände in der Tasche und ein bewußt nachdenkliches Lächeln auf den Lippen. Er war hübsch, der Macker, soweit sie das sehen konnte bei dem Bart und der Sonnenbrille. Nicht hübsch war freilich das Lächeln. Es war quasi quadratisch, so daß man viel
von seinen Zähnen zu sehen kriegte. Sie rutschte nervös auf dem Stuhl hin und her. Die
Prostitution war erlaubt, aber nur, wenn man es richtig machte, den Chip vom Finanzamt hatte und so fort. Sie mußte mit einemmal an das Geld in ihrer Tasche denken. Nun gab sie vor, die kunststoffbeschichtete Lizenz zum Betrieb eines Speiselokals zu lesen, die auf den Tresen geklebt war. Als sie wieder aufsah, war er weg.
Einen Fuffziger gab sie für Kleidung aus. Sie wühlte sich durch achtzehn Ständer in vier Shops, alles, Was die Straße zu bieten hatte, ehe sie sich entschied. Die Verkäufer sahen es nicht gern, daß sie so viel anprobierte, aber für so'ne Summe hatte sie noch nie eingekauft. Es wurde Mittag, bis sie fertig war, und die Florida-Sonne brütete auf dem Beton, als sie mit zwei Einkaufstüten den Parkplatz überquerte. Die Tüten waren wie die Kleider second-hand: eine war bedruckt mit dem Logo eines Ginza-Schuhgeschäfts, die andere warb für argentinische Meeresfruchtbriketts aus Trockenkrill. Im Geiste kombinierte sie die Sachen, die sie gekauft hatte, und überlegte, was wozu paßte.
Von der andern Seite des Platzes tönte es in voller Lautstärke großsprecherisch vom Evangelisten herüber, als hätte er sich in geifernde Erregung gesteigert, bevor er den Verstärker zuschaltete, während der Hologramm-Jesus mit den weißgewandeten Armen fuchtelte und zornig gen Himmel, zur Straße und wieder gen Himmel deutete. Verzückung, sagte er. Die Verzückung
kommt.
Mona bog um irgendeine Ecke, wobei sie ganz im Reflex einem Irren auswich, und spazierte an ausgebleichten Klapptischen entlang, auf denen billige Indo-Sim-stim-Sets ausgebreitet waren, gebrauchte Kassetten, bunte Microsoft-Stifte, die in hellblauen Styroporplatten steckten. Hinter einem dieser Tische klebte ein Bild von Angie Mitchell, ein Poster, das Mona noch nicht gesehen hatte. Sie blieb stehen und betrachtete es gierig, wobei sie zuerst Kleidung und Make-up des Stars studierte und dann den Hintergrund, den Aufnahmeort zu deuten versuchte. Unwillkürlich ahmte sie Angies Miene auf dem Poster nach. Es war nicht unbedingt ein Lächeln. Ein Anflug von Lächeln, etwas traurig vielleicht. Mona hatte eine ganz besondere Beziehung zu Angie. Weil sie — und das bekam sie auch von Freiern gesagt manchmal — Ähnlichkeit hatte mit ihr. Als wäre sie Angies Schwester. Bis auf ihre Nase, Monas Nase, die schräger saß, und daß Angies
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