Mona Lisa Overdrive
einer kleinen schwarzen Schleife
zusammengehalten wurde.
»Wurde gehängt«, sagte Sally, »nach dem Krieg.«
»Wer?«
»Jack Dracula. Wurden viele öffentlich gehängt 'ne Zeitlang nach dem Krieg. Jacks. Denen geh lieber aus dem Weg. Hassen die Ausländer...«
Kumiko hätte gern Colin dazu befragt, aber das Maas-Neotek steckte hinter einer Marmorbüste in dem Zimmer, wo Petal ihnen das Essen servierte, und dann kam auch der Zug, der sie mit seinem archaischen Getöse der Räder auf den Stahlschienen verblüffte.
Sally Shears vor dem Flickenteppich der Stadtarchitektur, in ihrer spiegelnden Brille der Londoner Mischmasch aus jeweils durch Wirtschaft, Feuer, Krieg verlesenen Stilen.
Kumiko ließ, durch dreimaliges Umsteigen in rascher, offenbar wahlloser Folge längst gründlich verwirrt, mehrere Taxifahrten über sich ergehn. Sie sprangen nämlich aus dem Wagen, liefen in das nächste Kaufhaus, marschierten durch den erstbesten Ausgang in eine andere Straße und ab ins nächste Taxi. »Harrods«, sagte Sally einmal, als sie gerade durch eine schmucke Halle mit gekachelten Wänden und Marmorsäulen stachen. Kumiko erspähte blinzelnd mit dicken roten Braten und Haxen vollbeladene Marmortheken und glaubte, sie wären aus Plastik. Und dann
wieder hinaus. Sally winkte das nächste Taxi heran. »Covent Garden«, sagte sie zum Fahrer.
»'tschuldige, Sally, was soll das?«
»Wir machen uns dünne.«
Sally trank heißen Brandy in einem winzigen Cafe unter dem schneebedeckten Glasdach der
Piazza. Kumiko trank heiße Schokolade.
»Haben wir uns verdünnisiert, Sally?«
»Ja, hoff's zumindest.« Sie sah heute älter aus, fand Kumiko, hatte Falten um den Mund, weil sie nervös oder fertig war.
»Sally, was machst du überhaupt? Dein Bekannter fragte, ob du noch im Ruhestand lebst...«
»Ich bin eine Geschäftsfrau.«
»Und mein Vater ist ein Geschäftsmann?«
»Dein Vater LVW Geschäftsmann, Süße. Nee, so was nicht. Ich bin ein Indie*. Investiere
hauptsächlich.«
*Indie: ein unabhängiger (»independant«) Produzent, etwa von Filmen oder Platten. — $QP G hEHUV
»In was investierst du?«
»In andere Indies.« Sie zuckte die Achseln. »Neugierig heute, was?« Sie nippte an ihrem Brandy.
»Du hast mir geraten, mein eigener Spion zu sein.«
»Guter Rat. Aber das muß man behutsam angehen.«
»Lebst du hier, Sally, in London?«
»Bin viel unterwegs.«
»Ist Swain auch'n >Indie«
»Davon geht er aus. Er hat den richtigen Draht, nickt in die richtige Richtung; das muß man hier, um Geschäfte zu machen, aber mir ging das auf die Nerven.« Sie kippte den restlichen Brandy hinunter und leckte sich die Lippen.
Kumiko schauderte.
»Du brauchst keine Angst zu haben vor Swain. Yana-ka könnte ihn zum Frühstück verspeisen, wenn er wollte ...«
»Nein. Ich dachte an die Typen in der U-Bahn. So dürr...«
»Die Draculas?«
»Eine Bande?«
ª%RVR]RNX© sagte Sally mit tadelloser Aussprache. >»Nichtseßhafte Sippschaft Jedenfalls so was wie 'ne Sippschaft.« Es war nicht das richtige Wort, aber Kumiko glaubte, den Unterschied zu verstehen. »Sie sind dürr, weil sie arm sind.« Sie winkte einem Kellner und ließ einen zweiten Brandy kommen.
»Sally«, sagte Kumiko, »als wir hierherkamen, die Fahrt hierher, die Züge und Taxis, war das, um sicherzustellen, daß man uns nicht folgt?«
»Nichts ist sicher.«
»Aber als wir zu Tick gingen, warst du weniger vorsichtig. Da hätte man uns leicht folgen können. Du heuerst Tick an, Swain zu bespitzeln, aber triffst keine Vorsichtsmaßregeln. Du bringst mich hierher und triffst viele Vorsichtsmaßregeln.
Warum?«
Der Kellner stellte ein dampfendes Glas vor ihr ab. »Du bist blitzgescheit, was, Süße?« Sie beugte sich vor und inhalierte den Brandydampf. »Es ist so, okay? Ich hab' vielleicht was vor mit Tick.«
»Aber Tick ist darauf bedacht, daß Swain ihn nicht ertappt.«
»Swain rührt ihn nicht an, wenn er merkt, daß er für mich arbeitet.«
»Wie das?«
»Weil er weiß, daß ich ihn vielleicht umbringe.« Sie hob ihr Glas, sah plötzlich viel froher aus.
»Swain umbringen?«
»Genau.« Sie trank.
»Warum warst du dann so vorsichtig heute?«
»Weil's einem manchmal gut tut, wenn man alles abschütteln kann, unten durchschlüpft. Aller Wahrscheinlichkeit nach haben wir's gar nicht geschafft. Vielleicht doch. Vielleicht weiß niemand, überhaupt gar niemand, wo wir sind. Tolles Gefühl, hm? Du könntest präpariert sein, schon mal überlegt?
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