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Mona Lisa Overdrive

Mona Lisa Overdrive

Titel: Mona Lisa Overdrive Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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die kalten Zähne der runden Sägeblätter und die spiegelnden Gelenkflächen, sondern der Rest des Richters hatte diese Farbe, die Oberfläche eines uralten Werkzeugs, das noch im harten täglichen Einsatz steht.
    Er drückte mit dem Daumen am Joystick, und der Richter machte einen Schritt nach vorne, dann noch einen. Die Gyros funktionierten einwandfrei; selbst mit einem fehlenden Arm bewegte sich das Ding fürchterlich würdevoll und setzte die Riesenfüße würdevoll vor.
    Slick grinste ins Halbdunkel der Fabrik, während der Richter zu ihm stapfte, eins-zwei, eins-zwei. Er konnte sich an jede Phase der Entstehung des Richters erinnern, wenn er wollte, und tat dies manchmal auch, nur weil's ein gutes Gefühl war, das zu können.
    Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, als er sich nicht erinnern konnte, aber zuweilen schaffte er es fast.
    Eben deshalb hatte er den Richter gebaut, weil er was angestellt hatte — nicht viel, aber er war zweimal dabei erwischt worden — und angeklagt und verurteilt worden war. Dann wurde das Urteil vollstreckt, und er konnte sich nicht mehr erinnern, konnte gar nichts mehr behalten, nicht mehr als fünf Minuten am Stück. Autos geklaut. Reicher Leute Autos geklaut. Sie stellten sicher, daß du dir merkst, was du getan hast.
    Mit dem Joystick wendete er den Richter und ließ ihn in den nächsten Raum gehen durch einen Gang zwischen Reihen von feuchten Betonsockeln, die einst Drehautomaten und Punktschweißer getragen hatten. Hoch droben im düstern, staubigen Gebälk hingen tote Neonröhren, auf denen manchmal Vögel nisteten.
    Korsakov heißt das. Sie machen was mit den Neuronen, damit das Kurzzeitgedächtnis nicht mehr hinhaut. So daß dir die Zeit entschwindet. Allerdings hatte er gehört, das werde jetzt nicht mehr gemacht, zumindest nicht für Autodiebstahl im großen Stil. Wer da nicht gewesen ist, meint, es ist leicht, wie Knast, aber dann ist alles ausgelöscht. So war's freilich nicht. Als er herauskam, als es vorbei war — drei Jahre, im Fünf-Minuten-Takt aufgefädelt auf ein langes, verschwommenes Band aus Furcht und Verwirrung, wobei man sich weniger an die 5-Minuten-Abschnitte erinnern konnte als an die Übergänge ... Als es vorbei war, war es ihm ein Bedürfnis, die Hexe, den Schinder, dann die Schergen und schließlich den Richter zu bauen.
    Während er den Richter über die Betonrampe in den Raum führte, wo die andern warteten, hörte er Gentry den Motor abstellen in Dog Solitude.
    Leute machten Gentry nervös, dachte Slick, als er zur Treppe stürzte, aber das galt auch
    umgekehrt. Fremde merkten, daß aus Gentrys Augen die Gestalt leuchtete; seine Fixiertheit kam bei allem, was er tat, zum Vorschein. Slick hatte keine Ahnung, wie er bei seinen Trips ins Sprawl zurechtkam; vielleicht hatte er nur mit Leuten zu tun, die ebenso konzentriert waren wie er, Einzelgängern am Rand der Drogen-und Software-Märkte. Sex schien ihm völlig egal zu sein, so daß Slick keine Ahnung hatte, auf was er gestanden hätte, wenn er da hätte loslegen wollen.
    Sex war Solitudes großer Nachteil, soweit es Slick anging, vor allem im Winter. Im Sommer fand er manchmal ein Mädchen in einem der rostigen Städtchen; genau das hatte ihn seinerzeit nach Atlantic City geführt und in Kids Schuld gebracht. Neuerdings redete er sich ein, die beste Lösung wäre, sich ganz auf die Arbeit zu konzentrieren, aber als er über die wacklige Eisentreppe zur Laufplanke kletterte, die hoch zu Gentry führte, ertappte er sich dabei zu überlegen, wie Cherry Chesterfield unter all den Jacken aussähe. Er stellte sich ihre Hände vor, die flinken, sauberen, aber dabei sah er das Gesicht des Bewußtlosen auf der Bahre, den Schlauch, der ihm was ins linke Nasenloch pumpte, die hohlen Wangen, die Cherry mit einem Papiertuch betupfte. Er zuckte zusammen.
    »Ey, Gentry«, brüllte er in die eiserne Leere der Fabrik, »komme rauf...«
    Drei Dinge an Gentry waren nicht spitz und dünn und eng: die Augen, der Mund, das Haar. Seine Augen waren groß und grau oder blau, je nach Lichteinfall. Die Lippen waren voll und mobil.
    Das Haar war zurückgekämmt zu einem fransigen blonden Schwanz, der wippte, wenn er ging.
    Er war schlank, aber nicht dürr wie Bird, den sein Fastfoodfraß und seine Nervosität ausgezehrt hatten. Gentry war einfach schmal gebaut; stramme Muskeln, kein Gramm Fett. Er trug auch gern stramme, enge Sachen, schwarzes Leder mit pechschwarzen Perlen, eine Mode, die Slick von seiner Zeit im

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