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Mona Lisa Overdrive

Mona Lisa Overdrive

Titel: Mona Lisa Overdrive Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Vielleicht hat dir dein Dad, der Feldherr des Yakuza, eine kleine Wanze in den Kopf gepflanzt, so daß er die Bewegungen seiner Tochter verfolgen kann? Du hast so hübsche feine Zähne, vielleicht hat Daddys Zahnarzt da 'n bißchen Hardware untergebracht, als du im Stim gewesen bist. Gehst du zum Zahnarzt?«
    »Ja.«
    »Ziehst du dir ein Stim rein, während er arbeitet?«
    »Ja ...«
    »Da haben wir's. Vielleicht hört er uns gerade zu ...«
    Kumiko hätte beinahe umgestoßen, was von ihrem Kakao noch übrig war.
    »Hey.« Sally tippte ihr mit gelackten Nägeln auf den Unterarm. »Keine Bange. Er hätte dich nie mit 'ner Wanze rübergeschickt. Damit wärste zu leicht lokalisierbar für seine Feinde. Aber du verstehst schon, was ich meine? Es tut gut, wenn man unten durchschlüpft. Es zumindest probiert. Auf sich gestellt ist, nicht?«
    »Ja«, sagte Kumiko, die immer noch Herzklopfen hatte und Panik hochsteigen fühlte. »Er hat meine Mutter umgebracht«, plapperte sie heraus und kotzte dann schokoladebraun auf den grauen Marmorboden des Cafes.
    Sally führt sie an den Säulen der Saint Paul's entlang. Gehen, nicht sprechen. Kumiko in
    verwirrender, von Scham geprägter Trance nimmt wahllos Informationen auf: den weißen
    Lammfellbesatz an Sallys Ledermantel, das Ölfilmschillern im Gefieder einer Taube, die vor ihren Füßen davonwatschelt, rote Busse wie Riesenspielzeug im Transport-Museum, Sally, die sich die Hände am Styroporbecher mit heißem Tee wärmt.
    Kalt, es bliebe nun immer kalt. Die gefrorene Nässe in den alten Knochen der Stadt, das kalte Wasser des Sumida, das die Lungen ihrer Mutter ausgefüllt hat, das frostige Geflatter der Neonkraniche.
    Ihre Mutter war zierlich gebaut, und ihr dichtes dunkles Haar war mit goldenen Glanzlichtern gemasert wie ein rares tropisches Edelholz. Ihre Mutter duftete nach Parfüm und warmer Haut.
    Ihre Mutter erzählte ihr Geschichten von Elfen und Feen und Kopenhagen, einer fernen Stadt.
    Wenn Kumiko von den Elfen träumte, glichen diese den Sekretären ihres Vaters: wendig und
    seriös, mit schwarzem Anzug und straff gewickeltem Schirm. Die Elfen vollbrachten viel
    Wunderliches in den Geschichten ihrer Mutter, und die Geschichten waren zauberhaft, weil sie sich beim Erzählen änderten und man sich nie sicher sein konnte, wie die Geschichte ausgehen würde an einem bestimmten Abend. Es gab auch Prinzessinnen in den Geschichten und Ballerinen, und eine jede davon, die Kumiko kennengelernt hatte, war gewissermaßen wie ihre Mutter.
    Die Prinzessinnen-Ballerinen waren wunderschön, aber arm, und tanzten aus Freude im Herzen der fernen Stadt, wo sie von Künstlern und angehenden Poeten — schönen, mittellosen — umworben wurden. Um alte Eltern zu unterstützen oder für einen kranken Bruder ein Organ zu kaufen, war eine Prinzessin-Ballerina zuweilen genötigt, eine ganz furchtbar weite Reise anzutreten, vielleicht gar bis nach Tokyo, um für Geld zu tanzen. Für Geld tanzen, so konnte man den Geschichten entnehmen, war keine Freude.
    Sally führte sie in eine Robota-Bar in Earls Court und verlangte von ihr, ein Glas Sake zu trinken. Eine geräucherte Fuguflosse schwamm in dem heißen Wein und verlieh ihm die Farbe von Whisky. Sie aßen Robota vom rauchigen Grill, und Kumiko spürte, wie die Kälte sich verzog, nicht aber die Taubheit. Die Innenausstattung des Lokals gab einem das starke Gefühl, in eine andere Kulturlandschaft versetzt zu sein: sie brachte es fertig, traditionelles japanisches Design zu vermitteln und gleichzeitig auszusehen wie von Charles Rennie Mackintosh*
    entworfen.
    Sie war sehr seltsam, Sally Shears, seltsamer als das ganze JDLMLQ London. Nun erzählte sie Kumiko Geschichten, Geschichten über Leute, die in einem Japan lebten, das Kumiko nicht kennengelernt hatte, Geschichten, die die Rolle darstellten, die ihr Vater in der Welt spielte.
    2\DEXQ nannte sie Kumikos Vater. Die Welt, die in Sallys Geschichten dargelegt war, schien genauso unwirklich wie die mütterliche Märchenwelt, aber Kumiko erahnte allmählich doch, welche Grundlagen und Ausmaße die Macht des Vaters hatte. ª.XURPDNX© sagte Sally. Das
    Wort bedeutete schwarzer Vorhang. »Kommt aus dem Kabuki**, meint aber einen Dunkelmann,
    der mit Gefälligkeiten handelt. Einen Drahtzieher, klar? So was ist dein Vater. So was ist auch Swain. Aber Swain ist der .REXQ deines alten Herrn, wenigstens einer davon. 2\DEXQ.REXQ
    Eltern-Kind. Da kriegt Roger seinen Sprit her. Darum bist du jetzt

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