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Mona Lisa Overdrive

Mona Lisa Overdrive

Titel: Mona Lisa Overdrive Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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und
    religiöser Bekehrung?«
    »Was faselt der da?« fragte Cherry.
    Slick schüttelte dumpf den Kopf. Falls er etwas sagte, so würde das Gentry nur bestärken in seinem Wahn.
    Nun ging Gentry zum großen Display-Gerät, dem Projektionstisch. »Es gibt Welten innerhalb der Welten«, sagte er. »Makrokosmos, Mikrokosmos. Wir haben ein komplettes Universum über den Steg getragen heut' abend, und was oben ist, ist wie das unten ... Es war natürlich offensichtlich, daß so was existieren muß, aber ich wagte nicht zu hoffen ...« Er blickte scheu zurück zu ihnen über die schwarze Perlenschulter. »Und jetzt«, sagte er, »sehn wir die Gestalt des kleinen Universums, in dem unser Gast weilt. Und in dieser Form, Slick Henry, erkenne ich ...«
    Er drückte den ANSchalter am Rand des Holotisches. Und schrie auf.
     
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    »Hier haben wir was Hübsches«, sagte Petal und tippte auf einen Rosenholzwürfel in der Größe ihres Kopfes. »Schlacht um England.« Licht flackerte darüber auf, und als Kumiko sich vorbeugte, sah sie winzige Flugzeuge über einem grauen Londoner Himmel, der wie ein
    Petrischalenabstrich aussah. »Aus Kriegsfilmen zusammengeflickt«, erklärte er. »Zielkameras.«
    Sie sah beinahe mikroskopisch kleine Feuerblitze der Luftabwehrgeschütze am Themseufer. »Zur Hundertjahrfeier.«
    Sie waren in Swains Billardzimmer hinten im Erdgeschoß von Nummer 16. Es roch leicht
    muffig, ein bißchen nach Pub. Der ganzen Ordnung und Sauberkeit in Swains Domizil trotzte hier eleganter Verfall: Sessel mit abgenutztem Leder, wuchtige dunkle Möbel, das dumpfe Grün vom Billardtisch ... Die schwarzen Eisenregale voller Unterhaltungsspiele hatten Petal veranlaßt, Kumiko vor dem Tee herzubringen, wobei er in seinen Moleskin-Slipper mit losen Nähten dahinlatschte, um ihr vorhandenes Spielzeug vorzuführen.
    »Was für'n Krieg war das?«
    »Der vorletzte«, sagte er und ging weiter zu einem ähnlichen, aber größeren Gerät, das zwei boxende Thaigirls als Hologramm lieferte. Die schwielige Sohle der einen knallte in den flachen braunen Bauch der andern, der angespannt war, um den Schlag abzufedern. Er berührte einen Knopf, und das Bild verschwand.
    Kumiko schaute wieder zur Schlacht um England mit seinen brennenden Mücken.
    »Fiches mit allen möglichen Sportarten«, sagte Petal und öffnete einen nach Maß gearbeiteten, schweinsledernen Aktenkoffer mit Hunderten davon.
    Er führte ein halbes Dutzend weiterer Geräte vor und suchte dann, wobei er sich am stoppeligen Kopf kratzte, einen japanischen Nachrichtenvideosender. Den fand er dann auch, konnte aber das automatische Übersetzungsprogramm nicht abstellen. Er verfolgte mit ihr zusammen, wie ein Kader von Nachwuchsführungskräften bei Ono-Sendai sich bescheiden einer tränenreichen Abschlußfeier unterzog. »Was soll das denn?« fragte er.
    »Sie stellen ihre Loyalität gegenüber ihrem =DLEDWVX
unter Beweis.«
    »Toll«, sagte er und wischte mit seinem Staubwedel über das Videogerät. »Ist bald Zeit zum Tee.« Er ging hinaus. Kumiko schaltete den Ton ab. Sally Shears war nicht beim Frühstück erschienen. Swain auch nicht.
    Moosgrüne Vorhänge bedeckten die großen Fenster, die auch in den Garten zeigten. Sie sah
    hinaus zur Sonnenuhr, die in Schnee gehüllt war, und ließ den Vorhang zufallen. (Der stumme Wandbildschirm zeigte Tokioter Unfallbilder, Sanitäter im Schutzanzug, die leblose Opfer aus einem Blechknäuel sägten.) Ein oberlastiger viktorianischer Schrank stand auf geschnitzten Beinen, die wie Ananas aussahen, an der andern Wand. Das Schlüsselloch, mit einer eingelassenen gelblichen Elfenbeinraute gefaßt, war leer, und als sie die Türen probierte, gingen sie auf und entließen den chemischen Geruch von alter Politur. Sie betrachtete das schwarzweiße Mandala hinten im Schrank, bis es zu dem wurde, was es war: eine Zielscheibe. Das glänzende Holz ringsum war pockennarbig gekerbt; mancher Werfer hatte also das Ziel völlig verfehlt, überlegte sie. Die untere Schrankhälfte wies Schubfächer auf, die jeweils mit einem kleinen Messingknauf und einem winzigen elfenbeingefaßten Schlüsselloch ausgestattet waren. Sie kniete sich davor hin, sah sich kurz nach der Tür um (im Bild die Lippen einer Shinjuku—
    Kabarettistin) und zog das linke obere Schubfach auf, so leise es ging. Es war voller Wurfpfeile, die einzeln oder in Ledertäschchen waren. Sie schloß die Schublade und machte die links davon auf. Ein toter Falter und eine rostige

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