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Mona Lisa Overdrive

Mona Lisa Overdrive

Titel: Mona Lisa Overdrive Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Empfangsbereich — sicherlich ein reines Ritual, als wäre ein Arztbesuch ohne Warten nicht komplett, nicht authentisch — fragte sich Angie unwillkürlich, wie sie sich schon oft gefragt hatte, warum das mysteriöse Vermächtnis ihres Vaters, die 9HYHV die er in ihren Kopf gepflanzt hatte, nicht entdeckt wurden von dieser und ähnlichen Kliniken.
    Ihr Vater, Christopher Mitchell, hatte das Hybridom-Projekt geleitet, das Maas Biolabs in der Biochip-Produktion zunächst faktisch ein Monopol verschafft hatte. Turner, der Mann, der sie nach New York brachte, hatte ihr eine Art Dossier über den Vater gegeben, ein Biosoft, von einer KI im Sicherheitsdienst von Maas zusammengestellt. Sie sichtete das Dossier viermal in ebensovielen Jahren; schließlich hatte sie das Ding in einer sehr rauschigen Nacht in Griechenland vom Deck der Jacht eines irischen Industriellen geworfen nach einer lautstarken Auseinandersetzung mit Bobby. Sie hatte den Anlaß des Streits vergessen, aber nicht vergessen hatte sie das gemischte Gefühl von Verlust und Erleichterung, als das winzige erinnerungsträchtige Ding ins Wasser fiel.
    Vielleicht hatte der Vater seine Schöpfung so gestaltet, daß sie auf dem Scanner der
    Neurotechniker unsichtbar blieb. Bobby hatte da eine eigene Theorie, die der Wahrheit
    vermutlich näher kam. Vielleicht konnte Legba, das Loa, dem Beauvoir nahezu unbeschränkten Zugang zur Cyberspace-Matrix zuschrieb, den Datenstrom, den der Scanner erhielt, dermaßen verändern, daß die 9HYHV unsichtbar blieben ... Schließlich hatte Legba ihr Debüt in der Branche arrangiert und den anschließenden Aufstieg zu Höhen weit über Tally Isham und ihre fünfzehnjährige Laufbahn als Net-Superstar.
    Aber es war schon so lange her, daß sie vom Loa geritten worden war, und gerade hatte Brigitte gesagt, die 9HYHV seien entfernt...
    »Hilton hat für dich heute von Continuity eine Meldung rausgeben lassen«, berichtete Ng.
    »So?«
    »Presseerklärung zu deiner Absicht, nach Jamaica zu gehen, Lob für die Methoden der Klinik, Gefährlichkeit von Drogen, neuer Arbeitseifer, Dank fürs Publikum, Archivbilder vom Haus in Malibu ...«
    Continuity konnte Videobilder von Angie erzeugen und nach Vorlagen aus ihren Stims lebendig werden lassen. Wenn sie sich das ansah, bekam sie zwar ein leichtes, aber nicht ganz unangenehmes Schwindelgefühl, hatte dabei jedoch zugleich die rare Gelegenheit, unmittelbar zu verstehen, wie berühmt sie war. Ein Gong ertönte hinterm Pflanzengrün.
    Als sie von der Stadt zurückkam, fand sie einen Partyservice vor, der ein Grillfest auf der Terrasse vorbereitete.
    Sie legte sich aufs Sofa unterm Valmier und hörte der Brandung zu. Aus der Küche hörte sie Piper, die Pope das Ergebnis der Untersuchung erläuterte. Das war an sich überflüssig — sie hatte das bestmögliche Gesundheitszeugnis erhalten — , aber Pope und Piper gingen gern ins Detail.
    Als Piper und Raebel in Pullis schlüpften und hinaus auf die Terrasse gingen, wo sie sich die Hände an der Kohle wärmten, war Angie allein im Wohnzimmer mit dem Regisseur.
    »Du hast mir erzählen wollen, was du droben im Schacht gemacht hast, David ...«
    »Waschechte Einzelgänger gesucht.« Er strich sich mit der Hand das wirre Haar zurück. »Kommt von einer Sache, die ich letztes Jahr gemacht habe in Afrika mit Gemeinschaften, die sich bewußt absondern. Das Problem war, als ich raufkam, merkte ich, daß jeder, der so weit geht, der wirklich allein lebt im Orbit, normalerweise entschlossen ist, das zu bleiben.«
    »Hast du selber aufgezeichnet? Interviews?«
    »Nein. Ich wollte solche Leute finden und sie dazu überreden, selber aufzunehmen,«
    »Hast du?«
    »Nein. Aber ich habe Geschichten gehört. Sensationen. Ein Schlepperpilot behauptete, es gäbe verwilderte Kinder in einer dichtgemachten japanischen Pharma-Fabrik. Gibt neuerdings ganze Apokryphen da draußen: Geisterschiffe, verschwundene Städte ... Nicht ohne Pathos, das ganze, wenn man überlegt. Ich meine, jedes Teilchen ist an den Orbit gekoppelt. Alles von Menschen gemacht, bekannt, vermessen, in Menschenbesitz. Wie wenn man auf einem Parkplatz einen Mythos Wurzeln schlagen sieht. Aber ich glaube, die Leute brauchen das, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte sie und dachte an Legba, an Mamman Brigitte, die tausend Kerzen ...
    »Ich wünschte nur«, sagte er, »ich wäre bis zu Lady Jane durchgedrungen. Unerhörte Geschichte.
    Bizarrst.«
    »Lady Jane?«
    »Tessier-Ashpool. Ihre Familie baute den

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