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Mona Lisa Overdrive

Mona Lisa Overdrive

Titel: Mona Lisa Overdrive Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Der Vater wollte sich nicht dazu äußern. Für Wahnsinn war kein Platz in der Welt des Vaters, für Selbstmord freilich schon. Der Irrsinn der Mutter war europäisch, ein importierter Fallstrick aus Kummer und Wahn ... Ihr Vater hatte die Mutter umgebracht, hatte Kumiko zu Sally in Covent Garden gesagt. Aber stimmte das überhaupt? Er hatte Ärzte aus Dänemark, aus Australien und schließlich aus Chiba geholt. Die Ärzte hatten sich die Träume der Prinzessin-Ballerina angehört, ihre Synapsen vermessen und Blutproben genommen. Die Prinzessin-Ballerina hatte ihre Drogen verweigert, ihre feinchirurgischen Operationen. »Sie wollen mir mit dem Laser das Hirn zerstückeln«, hatte sie Kumiko zugeflüstert.
    Sie hatte auch anderes geflüstert.
    Nachts, hatte sie gesagt, stiegen böse Geister wie ? Rauch von den Kästen im Arbeitszimmer des Vaters auf. »Greise«, sagte sie, »die uns die Luft zum Atmen nehmen. Dein Vater nimmt mir die Luft zum Atmen. Diese Stadt nimmt mir die Luft zum Atmen. Nichts ist hier je still. Hier läßt es sich nicht richtig schlafen.«
    Zuletzt hatte sie gar nicht mehr geschlafen. Sechs .] Nächte durchwachte die Mutter stumm und regungslos in ihrem blauen europäischen Zimmer. Am siebten Tag verließ sie die Wohnung allein — eine beachtenswerte Leistung angesichts der dienstbeflissenen väterlichen Sekretäre — und begab sich zum kalten Fluß.
    Aber der Schaufensterhintergrund glich auch Sallys Brille. Kumiko zog die Karte des Koreaners aus dem Ärmel ihres Pullis.
    Ein ausgebrannter Wagen stand am Gehsteig der Margate Road. Die Räder fehlten. Sie blieb
    daneben stehen und suchte die nichtssagenden Fassaden der Häuser gegenüber ab, als sie hinter sich ein Geräusch hörte. Sie wirbelte herum und entdeckte eine verzerrte Fratze unter fettigen Locken im Licht der nächsten halb offenen Haustür.
    »Tick!«
    »Eigentlich Terrence«, sagte er und ließ die Grimassenschneiderei.
    Tick wohnte im obersten Stock. Die unteren Geschosse standen leer. Lose Tapeten zeigten
    gespenstische Spuren abgehängter Bilder.
    Das Hinken des Mannes war deutlicher zu sehen, als er vor ihr die Treppe hinaufstieg. Er trug einen grauen Kammgarnanzug und tabakbraune Wildlederschuhe mit dicker Profilsohle.
    »Hab dich erwartet«, sagte er, während er sich Stufe um Stufe hochwuchtete.
    »So?«
    »Weiß, daß du von Swain abgehauen bist. Hab ihren Datenverkehr durchforstet, sobald mir das andere Zeit gelassen hat.«
    »Das andere?«
    »Du hast keine Ahnung, was?«
    »Bitte?«
    »Die Matrix. Tut sich was. Es ist einfacher, ich zeig's dir, als wenn ich lange erkläre. Als ob ich's erklären könnte! Ich würde schätzen, gut drei Viertel der Menschheit hängen im Moment dran, verfolgen das Schauspiel...«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Versteht wohl keiner. Ist 'ne neue Makroform im Sektor, der das Sprawl darstellt.«
    »Makroform?«
    »Sehr großes Datenkonstrukt.«
    »Ich bin hier, um Sally zu warnen. Swain und Robin Lanier wollen sie an diejenigen ausliefern, die Angela Mitchell entführen wollen.«
    »Da mach dir mal keine Sorgen«, sagte er, oben an der Treppe angekommen. »Sally hat sich die Mitchell bereits geschnappt und Swains Mann im Sprawl halb totgeschlagen. Sind jetzt sowieso hinter ihr her. Werden bald verdammt alle hinter ihr her sein. Aber wir können ihr Bescheid geben, wenn sie einsteckt. Falls sie einsteckt ...«
    Tick bewohnte einen einzigen großen Raum, dessen Grundriß auf herausgerissene
    Zwischenwände hindeutete. Obwohl das Zimmer groß war, ging's sehr eng zu. Kumiko kam es so vor, als hätte jemand den Inhalt eines Akihabara Modulshops in einem bereits vollen Raum ausgebreitet. Gaijin-Stil mit zu vielen wuchtigen Möbeln. Trotzdem war es verblüffend sauber und auch ordentlich. Die Zeitschriftenecken waren bündig zur Ecke des niedrigen Glastisches ausgerichtet, auf dem sie neben einem unbenutzten schwarzen Keramikascher und einer schlichten weißen Vase mit Schnittblumen lagen.
    Sie probierte noch einmal Colin, während Tick Wasser aus dem Filterkessel in den elektrischen Kocher füllte.
    »Was ist denn das?« fragte er, als er den Kessel hinstellte.
    »Ein Führer, Maas-Neotek. Ist kaputt. Colin meldet sich nicht mehr...«
    »Colin? Ein Stim-Gerät?«
    »Ja.«
    »Laß mal sehn ...« Er hielt die Hand hin.
    »Hab ich von meinem Vater ...«
    Tick stieß einen Pfiff aus. »Kostet ein kleines Vermögen, dieses Ding. Ist so 'ne kleine KI. Wie funktioniert's?«
    »Man umfaßt es einfach mit der

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