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Mona Lisa Overdrive

Mona Lisa Overdrive

Titel: Mona Lisa Overdrive Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Überblick über die Geschoßzahl verloren. Dieses Geschoß war vollgepackt mit kleinen tollen Schlitten. Das Hovercraft düste durch einen Mittelgang, schwenkte nach links.
    »Du kannst von Glück reden, wenn er nicht schon draußen wartet«, bemerkte Angie.
    Molly hielt zehn Meter vor einem Stahltor an, das mit diagonalen gelb-schwarzen Streifen bemalt war.
    »Nein«, sagte Molly, die eine kleine blaue Box aus dem Handschuhfach nahm, ªHU kann von
    Glück reden, wenn er QLFKW draußen steht.« Mit einem orangefarbenen Lichtblitz und einem
    Donnerschlag, der Mona ins Zwerchfell fuhr wie ein handfester Boxer, flog das Tor aus den Angeln. In einer Rauchwolke kippte es auf die nasse Straße, und schon waren sie darüber hinweg, bogen ab, beschleunigten.
    »Ganz schön primitiv, was?« sagte Angie und lachte sogar.
    »Ich weiß«, sagte Molly, aufs Fahren konzentriert. »Manchmal geht's nicht anders. Mona, erzähl ihr von Prior! Prior und deinem Lover. Was du mir erzählt hast.«
    Mona war in ihrem Leben noch nicht so schüchtern gewesen.
    »Bitte«, sagte Angie, »erzähl schon, Mona!«
    Einfach so. Ihren Namen. Angie Mitchell hatte tatsächlich LKUHQ Namen gesagt! Zu ihr! Gerade eben!
    Sie wäre beinahe in Ohnmacht gefallen.
     

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    »Hast dich wohl verlaufen?« sagte der Nudelverkäufer auf japanisch. Kumiko hielt ihn für einen Koreaner. Ihr Vater hatte koreanische Geschäftsfreunde im Baugeschäft, wie die Mutter gesagt hatte. Sie waren — wie auch der vor ihr — meist großwüchsig, fast so groß wie Fetal, mit breiten, ernsten Gesichtern. »Siehst recht durchgefroren aus.«
    »Ich suche jemand«, sagte sie. »Wohnt in Margate Road.«
    »Wo ist die?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Komm rein!« sagte der Nudelkoch und winkte Kumiko hinter seine Theke. Sein Stand war aus pink Wellplastik.
    Sie trat in den Freiraum zwischen seinem Stand und dem nächsten, der sich 5RWLVVHULH nannte, was in delirösen Graffiti-Versalien mit grellen Klecksern und Schnörkeln aufgesprüht war. Jener Stand roch nach Gewürzen und Braten. Ihre Füße waren eiskalt.
    Sie trat gebückt unter eine beschlagene Plastikfolie. Im Nudelstand ging's eng zu: dicke blaue Butangasflammen, drei Kochstellen mit großen Pötten, Plastikbeutel mit Nudeln, stapelweise Styroporschalen und der große Koreaner selbst, der ständig zwischen den Töpfen patrouillierte.
    »Setz dich!« sagte er. Sie setzte sich auf einen gelben Plastikkanister mit Glutamat, so daß sie mit dem Kopf unter der Theke verschwand.
    »Japanerin?«
    »Ja«, sagte sie.
    »Tokyo?«
    Sie zögerte.
    »Deine Kleidung«, sagte er. »Warum hast du Tabisocken an im Winter? Ist das modern?«
    »Hab meine Stiefel verloren.«
    Er reichte ihr eine Styroporschale und Eßstäbchen aus Plastik. Dicke Nudel Schnecken
    schwammen in der dünnen gelben Suppe. Sie aß mit Heißhunger und trank hernach die Brühe.
    Sie sah zu, wie er Kundschaft bediente, eine Afrikanerin, die Nudeln zum Mitnehmen im eigenen Topf mit Deckel kaufte.
    »Margate«, sagte der Mann, als die Frau weg war. Er zog ein fettiges, in Papier geschlagenes Buch unter der Theke hervor und blätterte darin. »Hier«, sagte er und deutete auf eine kleine Karte mit einem unwahrscheinlich dichten Straßennetz. »Acre Lane runter!« Er griff sich einen blauen Filzstift und zeichnete den Weg auf eine rauhe graue Serviette.
    »Danke«, sagte sie. »Ich geh jetzt.«
    Ihre Mutter kam zu ihr, als sie sich zur Margate Road durchschlug.
    Sally war in Gefahr irgendwo im Sprawl, und Kumiko wettete, daß Tick eine Möglichkeit wüßte, mit ihr in Verbindung zu treten. Wenn nicht telefonisch, dann zumindest via Matrix. Vielleicht kannte Tick den Finnen, den Toten aus der Gasse ...
    In Brixton beherbergte der gewachsene Korallenstock der Metropole ein anderes Leben. Helle und dunkle Gesichter, unzählige Rassen, Backsteinfassaden, auf denen Farben und Formen wüteten, wie es sich die ursprünglichen Erbauer nie hätten träumen lassen. Unterwegs pulsierten ihr Bässe entgegen aus einer offenen Pub-Tür, Hitze und viel Lachen. In den Läden wurden Lebensmittel verkauft, die Kumiko noch nie gesehen hatte, ballenweise bunte Stoffe, chinesische Werkzeuge, japanische Kosmetika ...
    Als sie innehielt vor so einem Fenster mit einer ausgestellten Palette an Tönen und das eigene Gesicht sich im silbernen Hintergrund spiegelte, spürte sie den Tod der Mutter über sich kommen aus der Nacht. Die Mutter hatte solche Dinge besessen.
    Der Wahnsinn der Mutter.

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