Mond der Unsterblichkeit
gewählt?
Sie sah zu Hermit. Eine bleierne Schwere legte sich über ihren Körper. Der Blick des Eremiten hielt den ihren fest. Seine Pupillen weiteten sich, und sie e r kannte ihn darin. Alles glich einem Film, in dem Hermit die Hauptrolle spielte. Sie konnte seine Gedanken erfa s sen, das Gleiche empfinden wie er.
Sie spürte seine Angst vor sich selbst und den Kräften, die in jedem Druiden und jeder Druidin schlummerten, ausgelöst durch die stetige Gradwanderung zwischen Gut und Böse.
Sie sah Hermit an einem runden Tisch sitzen und Runensteine ordnen. Hagalaz, die Rune der Katastrophe und Vernichtung. Dann zog er eine weitere Rune. Berkano! Die Ordnung, die das Chaos ausgleicht. Eine Rune des Schutzes und des Bewahrens. Die Runenzeichen ve r änderten sich plötzlich in Buchstaben. Es war ihr Name, der dort stand. Sie erschrak. Dann erloschen die Bilder schla g artig. A m ber glaubte, aus einer Art Traum zu erwachen. Sie schüttelte den Kopf und schloss für einen Moment die Augen. Als sie sie wieder öffnete, lächelte der Alte sie an. Aber sie fühlte sich benommen. Heftiger Kopfschmerz setzte ein, sodass sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte.
„Ich verstehe das alles nicht. Ich bin müde und erschöpft.“
„Passt schon“, unterbrach Hermit sie. „Ich gebe Ihnen erstmal D e cken zum Wärmen. Und ziehen Sie besser die Schuhe aus. Die sind klitsc h nass.“
Während sie sich die Schuhe auszogen, verschwand der Alte wieder in einem Zimmer und kehrte mit zwei Wolldecken über dem Arm zurück. Amber hüllte sich in die Decke.
„Danke, Hermit“, sagte sie leise und drückte seine Hand.
„Passt schon. Kommen Sie ins Wohnzimmer. Am Kamin können Sie sich aufwärmen.“
Es dauerte eine lange Weile, bis ihr Zittern nachließ. Hermit reichte ihnen zwei Tassen dampfenden Inhalts.
„Eine Mischung zur Beruhigung“, sagte er und grinste, „von mir selbst z u sammengestellt.“
Amber nahm eine Tasse und schnüffelte daran. Es roch nach Kräutern, ein wenig süß. Kevin lehnte da n kend ab.
„Haben Sie vielleicht auch ne Cola?“
Hermit lachte auf. „Mit sowas kann ich nicht dienen. Aber wenn du ein Stout haben willst, kannst du es kriegen.“
„Ja, das nehme ich auch“, antwortete Kevin und strahlte.
Zu Hause war Bier verboten. Amber schüttelte nur den Kopf. Sie war zu e r schöpft, um die mahnende Rolle zu übernehmen.
23.
G emeinsam warteten sie auf den Morgen. Amber kämpfte gegen das bleierne Gefühl in ihren Lidern. Doch sobald es hell wurde, wollte sie zum Schloss au f brechen. Sie saß im Schneidersitz auf dem Sofa vor dem aus Feldsteinen gema u erten Kamin.
Das Knistern der Flammen hatte etwas Beruhigendes. Ihre Gedanken galten Aidan. Sie musste ihn erreichen, ihm erzä h len, was geschehen war, ihn warnen. Ihre Hand tastete nach dem Handy in ihrer Hosentasche und wählte seine Nummer. Aber am anderen Ende der Leitung meldete sich nur seine Mailbox.
„Aidan, bitte ruf mich dringend zurück.“ Enttäuscht ihn nicht erreicht zu h a ben, legte sie das Handy neben sich.
Hermit saß im Schaukelstuhl, nippte an seinem Whisky und starrte in die Flammen.
Kevin, der sich neben Amber auf dem verschlissenen Sofa befand, zog die Beine an und bettete den Kopf auf die Arme. Auch er schwieg. Er war blass. Sie sah ihm an, wie sehr ihn das Erlebte mitg e nommen hatte. Wie gern hätte sie die Hand zum Trost nach ihm ausgestreckt, aber sie wusste, er würde sich gegen diese fürsorgliche Geste wehren, weil er immer versuchte, Emotionen zu verbe r gen. Er legte sie als Schw ä che aus. Nach einiger Zeit brach Amber als Erste das Schweigen.
„Wie wird es weitergehen, Hermit?“
Kevin hob ruckartig den Kopf. Sein Blick flog von ihr zum Alten.
„Revenant wird in jeder Nacht nach Opfern suchen. Wenige davon macht er zu seinen Gefährten, die anderen sterben“, sagte Hermit g e lassen.
Diese unerwartete Passivität erregte in Amber Widerstand. „Aber wir müssen diesen Wahnsinn stoppen! Sie sagten, dass Revenant schon einmal in die Scha t tenwelt zurückverbannt wurde, damals durch einen Druiden. Es wäre doch s i cher wieder möglich.“ Amber klammerte sich an diesen Hoffnungsschimmer.
Hermit schwieg. Anstelle einer Antwort griff der Alte einen Schürh a ken und stocherte damit in der Glut. Ein Funkenregen wirbelte auf.
„Hermit, warum sagen Sie denn nichts? Sie sind doch ein Druide! Sie könnten Revenant in die Schattenwelt verbannen.“
Sein Schweigen machte
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