Mond der Unsterblichkeit
Vampir oder Werwolf zu b e gegnen.
„Ganz ruhig, Amber“, sagte sie, und schloss die Augen. „Ganz ruhig überl e gen. Vertrau deinem Gefühl.“ Als sie ihre eigene Stimme hörte, entspannte sie sich ein w e nig.
„Da lang“, entschied sie, und marschierte den Weg nach rechts. Irgendwann müsste er fallen oder ansteigen. Dann wusste sie mit B e stimmtheit, ob sie sich richtig entschieden hatte.
Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie bemerkte, dass der Weg nach oben führte.
In diesem Moment hätte Amber vor Wut und Enttäuschung heulen können. Doch es tröstete zu wissen, nun die richtige Richtung zum Schloss zu kennen.
Sie machte auf dem Absatz kehrt und rannte den Weg hinab. Ihre Zehen w a ren eiskalt und taub.
Als sie einen Schrei hörte, stoppte sie. Hatte Revenant oder einer seiner Vasa l len ein Opfer gefunden? Angst kroch ihren Nacken hoch, ihr Herz raste wie ein Trommelwirbel. Vielleicht entsprang der Schrei ihrer puren Einbildung, wie die Stimme. Es war zu kalt, um stehen zu bleiben, also rannte sie weiter. Doch dann hörte sie ihn erneut. Die Stimme gehörte eindeutig einer Frau und kam ihr b e kannt vor.
Sally! Heiß durchzuckte es Amber. War Sally etwa Revenant in die Arme gela u fen? Oder gar wie sie selbst im Morast versunken? Ambers Gedanken übe r schlugen sich. Ihre Hilfsbereitschaft gebot ihr nach Sally zu suchen, aber auf der anderen Seite beherrschte sie die Furcht, denn die grausamen Bilder von R e venants Massaker standen vor ihren Augen.
Fieberhaft rang sie mit einer Entscheidung. Die Schreie klangen immer ve r zweifelter und ganz aus der Nähe. Der Wille zu helfen, besiegte die Angst. Sie selbst hatte im Moor um Hilfe geschrien und gehofft, jemand möge sie hören. Wenn diese Dunkelheit nicht wäre! Sie musste umkehren, denn die Schreie k a men aus der Richtung des Steinkreises. Irgen d wie würde es ihr schon gelingen, Sally trotz der Dunkelheit zu finden. Die Kälte kroch in ihre Glieder, aber A m ber kehrte um. Sie malte sich aus, wie Rev e nants spitze Zähne sich in Sally Hals bohrten, um ihr Blut zu trinken.
Als sie die erste Biegung hinter sich gelassen hatte, erkannte sie zw i schen den Bäumen den rötlichen Schein eines Feuers.
Die Schreie waren verklungen. Zwischen den Bäumen züngelten Flammen aus einem Stapel Äste, neben dem eine Gestalt lag. Sally. Außer ihr war niemand zu sehen. Dennoch suchten Ambers Augen die U m gebung ab. Erst als sie glaubte, mit Sally allein zu sein, wagte sie, we i ter zu gehen.
Sally lag nackt bis auf ihren Slip wie ein Embryo auf dem moosbedeckten B o den, neben ihr verstreut ihre Kleidung. Jeans, ein verschmutzter Daunenmantel, Stiefel und ein wollener Pullover. Die Arme um den Körper geschlungen, krümmte sie sich und begann, wie eine Gefolterte auf der Streckbank, zu schre i en. Mit wenigen Schritten war sie bei Sally und kniete sich neben sie. Trotz der Kälte glänzte ihr Körper vom Schweiß. Stattdessen knirschte Sally mit den Zä h nen und hechelte, während sie die Augen verdrehte und, nur das Weiß darin zu sehen war. Mit verzerrter Miene begann sie leise zu wimmern. Das Abbild des Jammers berührte Amber tief. Selts a merweise spürte sie bei Sally keine Furcht. Sie tätschelte deren Wange.
„Sally? Erkennst du mich? Ich bin es, Amber. Alles wird gut. Ich helfe dir.“ Sie griff nach dem Mantel und wickelte Sally darin ein, die nicht ansprechbar war und nur geradeaus starrte.
Sanft strich sie Sally das feuchte Haar aus der Stirn. Sally glühte wie im Fieber. Ihr Körper bebte und zitterte. In diesem Moment wünschte sie sich ein Handy herbei. Auch sie fror entsetzlich, vor allem jetzt, wo sie ruhig neben Sally kniete. Deshalb griff sie nach Sallys Pullover und strei f te ihn über. Dann zog sie Sally näher ans Feuer, legte sich dicht neben sie, um sich gegenseitig zu wärmen. Im Schein des Feuers suchte sie Sallys Hals nach Bisswu n den ab. Erleichtert atmete Amber auf, weil diese nicht den Vampiren in die Hände gefallen war.
Es dauerte eine Weile, bis das Zittern aufhörte, und Sallys Atemzüge gleic h mäßig wurden. Das Feuer wärmte Ambers Rücken. Immer wieder strich sie Sally übers Haar. Über ihnen riss die dicke Wolke n decke auf und gab die silberne Mondsichel frei.
Erst jetzt wurde Amber sich der grotesken Situation bewusst. Da schlug Sally die Augen auf, die sich gleich darauf vor Entsetzen weiteten. Sie stieß Amber grob von sich und robbte zurück.
„Was willst du hier? Geh fort!“, rief sie und
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