Mond der Unsterblichkeit
kühlen. Im Flur traf sie auf Kevin, der in seine Schuhe schlüpfte.
„Wo willst du hin?“, fragte Amber verwundert.
„Zur Schule.“
„Nach allem, was vorgefallen ist, willst du in die Schule? Willst du nicht mit mir zusammen Hermit suchen?“
„Doch, schon, aber, ich dachte, der ist weg“, druckste er rum, und starrte auf seine Zehenspitzen.
Amber sog scharf die Luft ein, eine heftige Erwiderung parat.
„Mann, ich muss hin. Die letzten Stunden hab ich geschwänzt“, brach es aus Kevin hervor.
„Eine Arbeit ist dir also wichtiger als das Schicksal von Gealach, wic h tiger als unser Schicksal?“ Amber stemmte die Hände in die Hüften. Sein Verhalten war unsensibel und gegenüber Dad respektlos. Er konnte doch nicht einfach so tun, als wäre nie etwas gesch e hen.
„Ja, nein, ja. Ach, du hast mir gar nichts zu sagen, Amber. Du bist nicht Mom!“
Amber prallte zurück, als hätte er sie geschlagen. Sie presste die Lippen aufe i nander, drehte sich um und lief zu ihrem Zimmer.
Kevin lief hinter ihr her. „Wir können doch nachher zu Hermit. Ich wollte wissen, was die Le u te so über den Tod Gordon Macfarlanes und reden.“
Amber wirbelte wütend herum. „Was interessieren dich plötzlich die Leute? Dir ist doch sonst alles e gal.“
Kevin zuckte zusammen. Amber baute sich drohend vor ihm auf. Sie musste an sich halten, um ihrem Bruder nicht eine Ohrfeige zu ve r passen. Anscheinend empfand er Bruder keinen Schmerz mehr über den Ve r lust des Vaters, sondern lebte wieder im Alltag. Wie hartherzig. Das war ihr nicht möglich, denn die Trauer um Dad demotivierte sie.
„Ich gehe jetzt, Amber“, sagte Kevin mit fester Stimme, und drän g te sich an ihr vorbei.
Wütend sah Amber Aidan und Kevin hinterher, als der Rover den Parkplatz verließ. Rastlos wanderte sie im Raum auf und ab, einen Ei s beutel gegen den Arm gepresst. Schließlich schlüpfte sie unter die D u sche, zog sich an, und verließ wie in Trance mit einer Scheibe Toast das Schloss.
Sie steuerte ihren Mini auf die kleine Landstraße, die zu Hermits Haus führte. Nach wenigen Minuten stand sie vor seiner Tür und klopfte. Zu ihrer Enttä u schung war der Alte immer noch nicht zu Hause. Sie stieg in den Wagen und beschloss, ebenfalls zur Universität zu fahren.
Der Jackenstoff auf dem Fleck scheuerte und verstärkte das Bre n nen.
Langsam folgte sie der Straße nach Inverness. Je mehr sie sich von Gealach entfernte, desto befreiter fühlte sie sich. Die Stimme war ve r klungen, und der Druck in ihrem Kopf ließ nach. Und als auch noch das Brennen am Arm endete, begann sie, sich auf die gewohnte Umgebung zu freuen.
Als Amber ihren Mini verließ, sah sie Beth, die am Ausgang des Par k platzes auf sie wartete. Die hatte ihr gerade noch gefehlt. Sicher würde sie nach allen Details über Vaters Tod und dem des Schlos s herrn fragen. Und anschließend folgte dann der gewohnte Redefluss, der Beths gesa m te Weisheiten beinhaltete.
„Hey, alles klar, Amber? Tut mir leid, wegen deines Vaters und so“, sagte Beth voller Mitgefühl und trat unsicher von einem Fuß auf den anderen.
„Ja, danke, Beth“, antwortete Amber, und schritt zielstrebig auf das Eingan g sportal der Uni zu, um sie schnell loszuwerden. Aber sie ließ sich nicht so ohne Weiteres abschütteln.
„Man erzählt sich ja so allerhand …“, plapperte Beth.
„Ach, ja, was denn?“ Amber wollte eigentlich gar nicht wissen, worüber g e tratscht wurde, aber sie kannte Beth nur zu gut, dass diese sich nicht davon a b halten ließe, den neuesten Klatsch zu verbreiten.
„Na, das mit dem Wolf, der Menschen anfällt und sie frisst.“
Es war eine Fehlentscheidung gewesen, herzukommen. Amber stöhnte inne r lich auf. Sie verspürte große Lust diesem Klatschmaul Beth eine Lektion zu erte i len. Amber blieb vor dem Eingang stehen und drehte sich zu Beth, die fast mit ihr z u sammengeprallt wäre.
„Warst du dabei? Hast du es gesehen?“
„Nein …“, stotterte Beth, und schniefte. Ihre Nase lief, von der kalten Luft.
„Wer hat gesagt, dass es ein Wolf war?“
„Alle sagen das.“
Genau diese Antwort hatte Amber erwartet. „Hat ihn jemand g e sehen?“
Beth zuckte mit den Achseln.
„Und wenn es etwas anderes gewesen ist?“
„Etwas anderes? Was denn?“ Beth riss vor Erstaunen die Augen weit auf, vo l ler Vorfreude auf eine mögliche Sensation.
Amber lächelte. „Vielleicht stimmen die Legenden um William Macfa r lane, der zurückgekehrt ist, um Rache zu
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