Mond der Unsterblichkeit
bedeutete ihr mit einem Wink, ihm zu folgen.
„Clava Cairn, Clava Cairn …“, flüsterte er.
„Lass mich endlich in Ruhe“, presste Amber zwischen zusamme n gebissenen Zähnen hervor. Doch es klang halbherzig. Die Stimme schwoll an, genau so, wie ihre Sehnsucht wuchs, ihm zu folgen. Ihr Herz raste, ihr Blutdruck stieg ins U n ermessliche, dass sie befürcht e te, an Herzversagen zu sterben.
Erst als sie dachte, es nicht mehr aushalten zu können, hörte es plöt z lich auf. Allmählich beruhigte sich auch ihr Puls. Dann sah sie deutlich den Steinkreis vor sich, ein Ort der Ruhe und Geborgenheit. Sie musste nach Clava Cairn. Dort wurde sie erwartet. Aber sie fühlte sich schwach, nur der Schmerz in ihrem Arm hatte nachgelassen. Sie kniete sich auf den Boden und rang nach Luft.
„Ich muss nach Clava Cairn“, sagte sie laut. Ihre Stimme klang fremd und he i ser. „Ich muss nach Clava Cairn“, stammelte sie immer wieder vor sich hin.
Wie in Trance erhob sie sich und lief durch den Flur bis zur Tür.
Sie ignorierte die Kälte, die durch das Sweatshirt drang, genau so wie die einbr e chende Dämmerung. Er wartete auf sie, oben am Stei n kreis. Sie konnte seine Nähe fühlen, die eisige Kälte, die ihn umgab. Ihre Zähne klapperten im Rhyt h mus der Schritte, als sie den Schlos s park verließ, und den Weg zum Wald entlang rannte.
„Ich komme!“, rief sie. Sie stolperte und schürfte sich die Hände an einem Baumstamm auf. Für einen Moment blieb sie stehen, und betrachtete im Dä m merlicht ihre blutigen Handflächen, die fürchterlich bran n ten. Aber der Drang, der Stimme zu folgen, war stärker als der Schmerz in ihren Händen. Er hatte sie g e rufen, das zählte.
Komm zu mir.
„Ja, ich muss weiter“, flüsterte sie, wischte das Blut an der Jeans ab und rannte weiter.
Die rasch voranschreitende Dunkelheit erschwerte die Sicht beim Aufstieg zum Steinkreis. Aber der Zwang zum Clava Cairn zu gelangen, überwog alles. Sie lief weiter voran, kaum den Weg vor Augen, bis sie gegen einen Baum prallte. Das ernüchterte sie. Die Stimme ve r stummte, und der Nebel in ihrem Kopf löste sich auf. Sie rieb sich die Stirn und drehte sich im Kreis. Wo war sie nur? Was suchte sie hier in der Dunkelheit? War sie von allen guten Geistern verla s sen, in der Finsternis herumzulaufen, bei der drohenden Gefahr durch Revenant und sein Gefolge?
Hinter ihren Schläfen verebbte der Druck. Zurück blieb ein Kater, wie nach einem Alkoholrausch. Außerdem war ihr erbärmlich kalt. Erschr o cken stellte sie fest, keine Jacke zu tragen. Wie konnte sie nur so leichtsinnig sein? Sie musste jetzt ruhig überlegen, wie sie hierher gekommen war. Und vor allem, was sie hier wollte. Aber die verga n genen Momente schienen aus ihrem Gedächtnis gelöscht zu sein. Nur an das Telefonat mit ihrer Mutter konnte sie sich erinnern. Frö s telnd schlang sie die A r me um ihren Körper.
Sie musste zurück zum Schloss. Bestimmt warteten Aidan und K e vin auf sie und machten sich Sorgen. Welcher Teufel hatte sie nur geritten, zum Clava Cairn zu laufen? Ihr Verstand musste völlig au s geschaltet gewesen sein. Sie dachte an den Morgen und die Bege g nung mit Beth, weswegen sie ein schlechtes Gewissen plagte. So hätte sie niemals zu Beth sein dürfen. Sie kannte sich selbst nicht mehr. Irgendetwas schien sich in ihren Geist einzuschleichen, und veranlas s te sie, Dinge zu tun, die sie nicht wollte. Selbstvorwürfe brachten sie in dieser Lage aber auch nicht weiter.
Dicke Wolken verbargen Mond und Sternenhimmel. Sie konnte in der Du n kelheit kaum Umrisse erkennen. Sie versuchte, einen Anhaltspunkt zu finden, wie sie nach Hause gelangen konnte. Sie musste den Weg finden, der Steinkreis und Schloss verband. Wenn ihr doch nur nicht so kalt wäre. In ihrem Hals b e gann es zu kratzen. Ihrem Bauchgefühl fo l gend, wählte sie eine Richtung.
Noch befand sie sich auf dem weichen Waldboden, doch ein Stück weiter, spürte sie durch die dünnen Sohlen ihrer Joggingschuhe einen steinigen Unte r grund. Erleichtert darüber, den Weg gefunden zu haben, wäre sie fast in Tränen au s gebrochen. Jetzt galt es nur noch, die richtige Richtung einzuschlagen. Das erwies sich als das schwerste Unterfangen, weil sie nicht wusste, für welche Ric h tung sie sich entscheiden sollte, und lange Umwege vermeiden wollte. Sie fror nicht nur en t setzlich, sondern Hunger, Durst und ein anderes Bedürfnis klagten ihr Recht ein. Außerdem begleitete sie die Angst, einem
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