Mond-Elfe
wobei es sich offensichtlich in Einklang mit der Welt befand.
Sie hielt nach dem nächsten Ausschau, und als es heranschoß, packte sie es. Das Ding versuchte, aus ihrem Griff herauszuschlüpfen, aber sie preßte es an sich. Es war heiß und verbrannte sie beinahe, doch wußte sie, daß es sich nur um Herzschmerz handelte. Sobald ihre Hände Kontakt mit dem Herzen aufgenommen hatten, wurde es passiv. Dann ließ sie es los, und es schwebte friedlich von dannen. Es funktionierte!
»Was machst du da, Lectra?« rief Nada aus dem Burggraben.
»Ich versetze diese Herzen in einen besseren Rhythmus«, antwortete Electra. »Sie rasen, weil sie außer Kontrolle geraten sind.«
»Du bist ein guter Schrittmacher«, bestätigte Nada, als sie zusah, wie die beruhigten Herzen davonschwebten. »Aber brich keines!«
»Wir wollen keine gebrochenen Herzen«, stimmte Electra ihr zu und fing das nächste Herz ein. Sie bezweifelte, daß sie jemals eine Herzensbrecherin sein könnte.
Schließlich waren alle Herzen gezähmt. Electra war ein wenig traurig, als sie sah, wie das letzte Herz zufrieden davonschwebte, doch sie wußte, daß alles nur Herzschmerz gewesen war. So hatten sie auch das zweite Hindernis bewältigt.
Sie ging zum Burggraben und wusch das Blut ab. Sie hoffte, daß die sanften Herzen gute Körper finden würden, weil sie sehr warm und freundlich zu sein schienen und wahrscheinlich gut funktionieren würden, wenn man sie nur wohlwollend behandelte. Sie konnte ihnen ihre Wildheit nicht ankreiden, da sie ganz allein in die Welt geworfen worden waren.
Beide stiegen aus dem Graben und gingen weiter. Nadas Kleid war nun genauso naß wie das von Electra, weil sie es waschen mußte. Aber es sah noch immer zehnmal besser an ihr aus als alles, was Electra jemals getragen hatte. Sie erreichten einen Torbogen und betraten durch ihn die Burg. Vor ihnen lag ein schmaler, langgestreckter Flur.
Dort hinten, am Ende des Gangs, quoll doch etwas aus dem Tor! Es sah klumpig, rot und klebrig aus, als seien tausend wilde Herzen ausgequetscht und zu einer aufgeweichten Masse verdichtet worden. Waren die Herzen von da gekommen? Kein Wunder, daß sie wild gewesen waren!
Nada zog prüfend die Luft ein. Dann bückte sie sich, steckte einen Finger in das Zeug und probierte es. »Ich habe es mir doch gleich gedacht: Erdbeere.«
»Du meinst, es ist eßbar?« fragte Electra verwundert. »Erwartet man von uns, daß wir unseren Weg hindurchessen?«
»Hoffentlich nicht! Erdbeermarmelade macht fürchterlich dick.«
»Das würde mich nicht aufhalten. Ich nehme sowieso nicht zu, egal, wieviel ich esse. Das ist mein Problem.«
»Das ist nicht dein Problem!« brauste Nada auf. »Du bist wunderbar schlank!«
»Ich tausche meine Figur jederzeit gegen deine!«
»Wenn ich etwas von dieser Marmelade esse, wirst du meine Figur nicht mehr haben wollen«, erwiderte Nada. »Ich würde so fett sein, daß ich rollen könnte, ohne meine Arme und Beine zu benutzen.«
Electra versuchte, sich das vorzustellen, und fand es lustig, aber es kam kein mädchenhaftes Kichern oder gar herzhaftes Lachen dabei heraus, es war einfach nur ein dummes Glucksen.
Sie tauchte einen Finger hinein und probierte die Marmelade. »Nein, das ist nicht ganz Erdbeere. Es schmeckt zu metallisch. Auch keine Heubeere. Und schau – das sind überhaupt keine richtigen Beeren. Sie bewegen sich.«
Nada schaute genau hin. »Du hast recht! Einige sind größer als andere, und sie sind sogar quadratisch. Sie stoßen dauernd zusammen und halten einander gegenseitig auf.«
»Bis die andere aus dem Weg geht«, fügte Electra hinzu. »Nur scheinen sich diese Dinger leichter in die Quere zu kommen, als einander Platz zu machen.«
»Und alles zusammen führt dann zu einem absolut klebrigen Gekrieche«, sagte Nada. »Nicht eine Beere kann vorankommen, bevor es nicht auch alle anderen geschafft haben, deshalb sind sie alle wahnsinnig langsam.«
»Ich glaube, ich habe so etwas schon einmal vor Hunderten von Jahren geschmeckt«, sagte Electra. »Es war eine Art von Beeren, die in einem Kreis wuchsen, einem… einem Kreisverkehr. Die Beeren rollten einfach immer im Kreis herum, bis sie verschlissen waren.«
»Das müssen verrückte Beeren gewesen sein!«
»Verkehrsbeeren. Sie bewegen sich immer im Kreis, außer wenn sie in einem…«
»Verkehrsstau feststecken«, ergänzte Nada. »Und das hier ist ein großer Stau.«
»Ja, es ist widerlich. Alles steckt fest. Wie können wir da durchkommen?«
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