Mond über Manhattan
an den Tisch setzen und Effing dabei zusehen mußte, wie er sie aufsaugte.
Nicht daß er schlürfte; er saugte sie regelrecht auf, erfüllte die Luft mit all dem Lärm und Getöse eines defekten Staubsaugers. Dieses Geräusch war so zermürbend, so unverwechselbar, daß ich es langsam überall zu hören glaubte, auch wenn wir nicht bei Tisch saßen. Selbst heute noch kann ich es mir, wenn ich die nötige Konzentration aufzubringen imstande bin, in seinen feinsten Variationen ins Gedächtnis rufen: den Schock des Augenblicks, in dem Effings Lippen mit dem Löffel zusammentrafen und die Stille von einem monumentalen Luftholen erschüttert wurde; den schrillen, langgezogenen Radau danach, ein mörderischer Krach, der die Flüssigkeit, während sie in seine Gurgel fuhr, in ein Gebräu aus Kies und Glassplittern zu verwandeln schien; das Schlucken, die kurze Pause, das Klappern des Löffels am Suppenteller, und darauf das schaudernde Keuchen, wenn er ausatmete. Nun schmatzte er mit den Lippen, zog vielleicht auch eine wohlige Grimasse und fing dann wieder von vorn an: Löffel füllen und an den Mund heben (stets mit vorgerecktem Kopf - um den Weg zwischen Teller und Mund zu verkürzen -, dabei aber mit zitternder Hand, so daß ein Teil der Suppe in den Teller zurückplatschte, während der Löffel sich seinen Lippen näherte), und dann kam die nächste Explosion, wenn die ohrenzerreißende Saugpumpe aufs neue eingeschaltet wurde. Gnädigerweise aß er selten einen Teller von dem Zeug zu Ende. Drei oder vier dieser kakophonen Löffel reichten im allgemeinen aus, ihn zu erschöpfen, worauf er den Teller beiseite schob und Mrs. Hume ruhig fragte, was sie für den Hauptgang vorbereitet habe. Ich weiß nicht, wie oft ich dieses Geräusch gehört habe, aber jedenfalls oft genug, um zu wissen, daß es mich nie loslassen wird, daß ich es für den Rest meines Lebens mit mir herumtragen werde.
Mrs. Hume legte während dieser Vorführungen eine bemerkenswerte Geduld an den Tag. Nie ließ sie Beunruhigung oder Abscheu erkennen; sie benahm sich stets, als sei Effings Verhalten Teil der natürlichen Ordnung der Dinge. Wie der Anwohner einer Bahnlinie oder eines Flughafens hatte sie sich an regelmäßig wiederkehrenden Lärm gewöhnt, und wenn Effing mit seinem Schlürfen und Gesabber loslegte, hörte sie einfach auf zu reden und wartete, bis die Störung vorbei war. Der Schnellzug nach Chicago raste durch die Nacht, ließ die Fenster rappeln und erschütterte das Haus in den Grundfesten, und dann war er weg, so schnell, wie er gekommen war. Ab und zu, wenn Effing besonders abscheulich in Form war, sah Mrs. Hume in meine Richtung und blinzelte mir zu, als ob sie sagen wollte: Lassen Sie sich nicht von ihm stören; der Alte ist nicht richtig im Kopf, dagegen können wir nun mal nichts machen. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, erkenne ich, wie wichtig sie für die Aufrechterhaltung einer gewissen Stabilität in diesem Haushalt war. Ein impulsiverer Mensch wäre in Versuchung geraten, auf Effings Exzesse zu reagieren, und das hätte alles noch schlimmer gemacht, denn der Alte wurde fuchsteufelswild, wenn man ihn provozierte. Mrs. Humes Phlegma war zur Abwiegelung aufkeimender Dramen und unerfreulicher Szenen gerade das richtige. Sie hatte, passend zu ihrem kräftigen Körper, ein kräftiges Herz, das ohne erkennbare Wirkung eine ganze Menge einstecken konnte. Anfangs brachte es mich manchmal auf, wenn ich sah, wie sie seine Beschimpfungen hinnahm, doch langsam begriff ich, daß dies die einzige vernünftige Art war, mit seiner Verschrobenheit fertig zu werden. Lächeln, die Achseln zucken, nachgeben. Sie hat mich gelehrt, wie ich mit Effing umzugehen hatte, und ohne ihr Beispiel dürfte ich wohl kaum so lange in dem Job ausgehalten haben Zu den Mahlzeiten erschien sie immer mit einem Latz und einem frischen Handtuch. Der Latz wurde Effing vor dem Essen um den Hals gebunden, und mit dem Handtuch wurde ihm notfalls das Gesicht abgewischt. In dieser Hinsicht war es fast, als ob man sich mit einem Kleinkind zum Essen hinsetzte. Mrs. Hume spielte die Rolle der aufmerksamen Mutter sehr sicher. Da sie selbst drei Kinder aufgezogen habe, erzählte sie mir einmal, brauche sie nicht erst groß darüber nachzudenken. Sie hatte aber nicht nur für sein körperliches Befinden zu sorgen, sondern mußte ihn auch verbal unter Kontrolle halten, wobei sie mit der ganzen Geschicklichkeit einer erfahrenen Prostituierten zu Werke ging, die sich um einen
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