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Mond über Manhattan

Mond über Manhattan

Titel: Mond über Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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schwierigen Kunden kümmert. Kein Wunsch war zu absurd, um ausgeschlagen zu werden, kein Vorschlag konnte sie schockieren, keine Bemerkung war zu ausgefallen, um nicht ernst genommen zu werden. Es verging keine Woche, in der Effing sie nicht mindestens einmal beschuldigte, sie würde etwas gegen ihn im Schilde führen - zum Beispiel sein Essen vergiften (wozu er verächtlich halb zerkaute Karotten und Hackfleischbrocken auf seinen Teller spuckte), oder sie plane, ihn um sein Geld zu bringen. Anstatt auf so etwas beleidigt zu reagieren, erklärte sie ihm ruhig, wir drei würden alle gleich tot umfallen, da wir alle das gleiche äßen. Oder aber, wenn er sich nicht davon abbringen ließ, änderte sie ihre Taktik und gestand die Tat. «Es stimmt», sagte sie dann etwa. «Ich habe sechs Eßlöffel Arsen in den Kartoffelbrei gerührt. In fünfzehn Minuten dürfte die Wirkung einsetzen, und dann habe ich den ganzen Ärger vom Hals. Ich werde eine reiche Frau sein, Mr. Thomas» - sie nannte ihn immer Mr. Thomas -, «und Sie werden endlich im Grab vermodern.» Solche Reden amüsierten Effing jedesmal. «Ha!» platzte er dann heraus. «Haha! Sie sind hinter meinen Millionen her, Sie gierige Hexe. Das habe ich schon immer gewußt. Dann gibt’s Pelze und Diamanten, was? Na, die werden Ihnen auch nicht helfen, Dickerchen. Sie werden immer wie ein wabbliges Waschweib aussehen, egal, was für Kleider Sie tragen.» Und dann schaufelte er sich, ohne auf den Widerspruch zu achten, genüßlich noch ein paar Löffel von dem vergifteten Essen in den Mund.
    Effing spielte ihr übel mit, aber im Grunde glaube ich, daß Mrs. Hume ihm sehr zugetan war. Anders als die meisten Leute, die für sehr alte Menschen sorgen, behandelte sie ihn nicht wie ein zurückgebliebenes Kind oder ein Stück Holz. Sie gewährte ihm die Freiheit, zu meckern und sich danebenzubenehmen, aber wenn die Situation es erforderte, war sie auch fähig, ziemlich resolut mit ihm umzuspringen. Sie hatte sich eine ganze Reihe von Schimpfnamen für ihn ausgedacht und zögerte keineswegs, sie zu benutzen, wenn er sie provozierte: alter Trottel, Tunichtgut, Meckerfritze, Gauner; ein unerschöpflicher Vorrat. Ich weiß nicht, wo Mrs. Hume diese Wörter hernahm, aber sie flossen ihr scharenweise von der Zunge, wobei es ihr stets gelang, den Schmähungen einen Ton von rauher Zärtlichkeit beizumischen. Sie war seit neun Jahren mit Effing zusammen, und da sie keine Masochistin zu sein schien, muß ihr der Job irgendwo eine gewisse Befriedigung verschafft haben. Aus meinem Blickwinkel waren diese neun Jahre niederschmetternd. Und wenn man dann noch bedachte, daß sie im Monat nur einen freien Tag nahm, wurde das Ganze schier unvorstellbar. Ich hatte wenigstens die Nächte für mich allein, und ab einer bestimmten Zeit konnte ich kommen und gehen, wie ich wollte. Ich hatte Kitty und konnte mich auch damit trösten, daß mein Job bei Effing nicht der Hauptzweck meines Lebens war, daß ich früher oder später mit etwas anderem weitermachen würde. Für Mrs. Hume gab es solche Rückzugsmöglichkeiten nicht. Sie war ständig im Dienst und kam nur aus dem Haus, wenn sie allnachmittäglich für eine oder zwei Stunden einkaufen ging. Das konnte man kaum ein richtiges Leben nennen. Sie hatte ihre Reader’s Digests und Redbook-Magazine, sie las gelegentlich einen Taschenbuchkrimi, sie hatte den kleinen Schwarzweißfernseher in ihrem Zimmer, den sie stets mit sehr leisem Ton einschaltete, nachdem sie Effing zu Bett gebracht hatte. Ihr Mann war vor dreizehn Jahren an Krebs gestorben, und ihre drei erwachsenen Kinder lebten weit weg: eine Tochter in Kalifornien, eine andere in Kansas, der Sohn war bei der Army in Deutschland stationiert. Sie schrieb ihnen Briefe, und ihr größtes Vergnügen waren Fotos von ihren Enkeln, die sie in die Ecken ihres Toilettenspiegels steckte. An den freien Tagen ging sie ihren Bruder Charlie im V. A. Hospital in der Bronx besuchen. Er war im Zweiten Weltkrieg Bomberpilot gewesen, und aus dem wenigen, was sie mir von ihm erzählte, schloß ich, daß er einen Dachschaden hatte. Jeden Monat zog sie treu ergeben zu ihm los, vergaß nie, eine kleine Tüte Pralinen und einen Stapel Sportzeitschriften mitzunehmen, und in der ganzen Zeit, da ich sie kannte, habe ich sie nie über die Last dieser Besuche klagen hören. Mrs. Hume war ein Fels. Wenn ich es recht bedenke, hat niemand mich so viel gelehrt wie sie.
    Effing war ein schwieriger Fall, aber es wäre falsch, ihn

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