Mondberge - Ein Afrika-Thriller
entgegen. »Die Kerle sind uns auf den Fersen. Und du willst uns ans Messer liefern. Warum?«
Hans sah ihn durchdringend an. »Wer sagt mir denn, das du hier nicht der Verräter bist? Wer hat uns überhaupt an die Rebellen verraten? Woher weiß ich, dass du nichts damit zu tun hast?«
Wütend sprang Tom auf, um sich auf Hans zu stürzen. »Du abgefucktes Arschloch!« Andrea griff im letzten Moment ein und hielt ihn zurück. »Ich glaube, du bist es, der uns die ganze Zeit belügt!«, raunte er Hans noch energisch zu.
»Was willst du damit sagen?« Hans trat mit hochrotem Gesicht dicht an Tom heran, bis die beiden sich fast berührten. »Was hätte ich denn davon?«
»Vielleicht braucht dein kaputtes Ego ja so was.«
Energisch trat Andrea zwischen die beiden. »Ihr haltet jetzt die Klappe!«, brüllte sie. Dann fuhr sie leiser fort: »Wenn ihr zwei euch hier weiterhin wie überdrehte Primaten verhaltet, dann können wir auch gleich zurückgehen und uns einfangen lassen. Ihr seid bestimmt kilometerweit zu hören.«
Die Männer fixierten sich noch eine halbe Minute, bis Hans schließlich aufgab und sich wieder auf den Boden setzte. Kniehohe Sträucher bedeckten die Ebene, mehrere Meter hohe Lobelien stachen hier und da aus dem niedrigen Bewuchs heraus. Tom blickte sich vorsichtig um. Aus der Richtung, aus der sie gekommen waren, konnte er keinen Hinweis auf ihre Verfolger entdecken. Und auch in den anderen Richtungen war alles ruhig. Zumindest in dem Bereich, den man einsehen konnte und der nicht hinter den sie umgebenden Wolken verborgen war. Sollten sie es geschafft haben, ihren Entführern zu entkommen?
Gerade wollte er sich wieder den anderen zuwenden, als die Wolken über ihnen aufrissen und der Sonne Platz machten. Das bis zu diesem Moment trostlos wirkende Gelände explodierte mit einem Mal förmlich in Grün- und Gelbtönen. Innerhalb weniger Minuten vertrieb ein leichter Wind den letzten Dunst vollständig und machte den Blick nach Osten frei auf ein faszinierendes Schauspiel: Die Spitzen des riesigen Mount Baker mit seinen schneebedeckten Gipfeln schienen zum Greifen nah; die Sonne brach sich in den gleißend weißen Flächen, während sich davor schwarze Felsen im Schatten abzeichneten. Tom war von dieser Aussicht fasziniert. Er dachte an seinen Plan, das unbekannte Tal zu finden. An seine Skizze, die er in stundenlanger Arbeit von Hand angefertigt hatte. Bis hierhin hatte er es schon geschafft; trotz der schrecklichen Verstrickungen war er dem Tal möglicherweise so nah wie nie zuvor. Und zugleich war er niemals weiter von seinem Ziel entfernt gewesen als in diesem Augenblick: Ohne seine Kamera hatte er nichts in der Hand.
Eine Bewegung am Rande seines Sichtfelds ließ ihn zusammenschrecken. Blitzschnell drehte er den Kopf zur Seite und suchte das nähere Umfeld ab. Irgendwo da hinten zwischen den Büschen war jemand gewesen. War Peter wieder da? Oder kamen die Rebellen wieder hinter ihnen her? Ein Windhauch blies ihm ins Gesicht. Als Andrea seine Unruhe bemerkte, wollte sie ihn ansprechen, doch er legte den Zeigefinger auf den Mund: Keinen Mucks!
Da war sie wieder, die Bewegung. Schwarz und dicht am Boden kam etwas auf sie zu geschlichen. Kein Mensch. Das musste ein Tier sein.
Mehrfach tauchte der schwarze Schatten zwischen den Büschen auf, um gleich darauf wieder zu verschwinden. Das Tier kam kontinuierlich näher. Es war groß. Und es gab nicht den geringsten Laut von sich. Auch die anderen wurden jetzt darauf aufmerksam. Angespannt blickten sie ihm entgegen, unsicher, was geschehen würde. Als es in etwa fünfzig Metern Entfernung stehen blieb und seine Schnauze witternd in die Luft streckte, wurde Tom klar, was sie vor sich hatten: einen der seltenen Ruwenzori-Leoparden. Seit vielen Jahren wusste niemand, ob es diese Tiere überhaupt noch gab. Doch da war er. Tiefschwarz wie die meisten Leoparden, die in großen Höhen lebten. Und – das wurde Tom schlagartig bewusst – lebensgefährlich für Menschen.
Der Leopard kam langsam näher. Normalerweise müsste er fliehen, sobald er Menschen witterte. Entweder nahm er ihre Anwesenheit gar nicht wahr, weil der Wind aus seiner Richtung kam – oder er war auf der Jagd. Tom erinnerte sich an grausame Geschichten von Menschen fressenden Leoparden, die in Indien und Sri Lanka kursierten.
»Nicht bewegen«, hauchte ihm eine Stimme ins Ohr. Tom schrak zusammen. Peter hockte plötzlich neben ihm. »Ich beobachte den Leoparden schon seit einiger Zeit.
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