Mondberge - Ein Afrika-Thriller
tief in den Berg führt. Nur unsere Alten dürfen sie betreten, denn in ihr befindet sich ein Heiligtum.« Er machte eine Pause. »Ich weiß jedoch nicht, wie weit die Gänge führen.«
Andrea nickte beinahe unmerklich.
»Was werden seine Eltern sagen, wenn Kambere geht?«
»Seine Eltern sind nicht das größte Problem«, entgegnete Mbusa. »In der Tradition unserer Gemeinschaft ist es verboten, das Tal zu verlassen, wenn man es einmal betreten hat.«
»Bedeutet das, dass ich nie wieder nach Hause komme?«
»Nach unserem Gesetz ist das so.«
»Und wenn wir trotzdem gehen?«
Mbusa schwieg.
Andrea sah ihm eine Weile in die Augen, dann nickte sie.
53
Berlin, 19. Juni
»Wir benötigen ein Lebenszeichen, Herr Kayibanda.« Sven Wiese spürte den Impuls, das Telefonat zu beenden. Sie kamen mit diesem Mann nicht weiter. »Woher sollen wir wissen, dass die Geiseln leben? Wo befinden sich die Geiseln, und in welchem Zustand sind sie?«
Er saß in seinem Arbeitszimmer und telefonierte mit dem angeblichen Präsidenten der ALR. Der Mann hatte sich wieder bei ihm gemeldet.
»Ach, Herr Wiese, Sie sind so ungeduldig«, scherzte Kayibanda. »Dabei haben wir doch so viel Zeit. Und im Grunde sind wir uns doch einig darüber, dass es Ihnen in erster Linie um Andrea von Schellenburg geht, nicht wahr?« Der Mann am anderen Ende der Leitung lachte leise.
»Das sehen Sie vollkommen falsch. Für uns sind selbstverständlich alle Bürger der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig.«
Natürlich hatte Kayibanda Recht: Wenn Andrea von Schellenburg etwas zustoßen sollte, dann wäre das mediale Echo erheblich größer, als wenn einem Schreiner aus Erfurt etwas geschah. Allerdings würde Wiese sich hüten, das irgendjemandem zu sagen. Kayibanda lachte wieder.
»Ich verstehe Sie voll und ganz«, sagte er. »Sie müssen das sagen. Ich kenne die Verfassung Ihres Landes sehr gut. Genauso, wie ich mich umfassend mit allen legislativen, judikativen und exekutiven Aspekten Ihres Landes befasst habe und recht gut im Bilde bin.«
»Herr Kayibanda, ich wiederhole mich ungern. Ohne ein Lebenszeichen der Geiseln wird es keine weiteren Verhandlungen geben.«
»Fragen Sie Herrn von Schellenburg nach seinen besten Freunden aus Studienzeiten. Sie werden erstaunt sein, ihn die Namen Stefan, Georg und Hans aussprechen zu hören. Das sollte als Lebenszeichen von seiner Tochter reichen.«
Wiese war einen Moment lang baff. Hatte der Ruander diese Namen schon die ganze Zeit gewusst? Und welchen Wert hatte diese Information, wenn sich herausstellen sollte, dass er die Wahrheit sprach? War der Hans etwa Hans Meyer, dessen Villa sie durchsucht hatten? Wenn dem so war, dann hatten die Namen keinen Wert, solange nicht klar war, welche Rolle er in der Geiselnahme spielte. Sollte er an der Organisation und Durchführung beteiligt gewesen sein, dann wusste er durch seine Recherchen über die von Schellenburgs so viel, dass er vermutlich jede der Proof-Of-Life -Fragen mit Leichtigkeit hätte beantworten können. Dabei waren die POL-Fragen ein elementarer Bestandteil seiner Arbeit. Ihm blieb nichts anderes übrig, als darauf weiter aufzubauen, bis sie etwas Besseres in der Hand hielten.
»Ich werde ihn fragen. Allerdings verstehen Sie sicher, dass ich mich damit nicht zufrieden geben kann. Wir wollen auch von den anderen Geiseln wissen, ob sie leben. Also werden sie sie alle nach den Namen der Großmütter mütterlicherseits fragen.«
Und wieder lachte der Mann am Telefon.
»Ach, Ihr Deutschen. Ihr hängt alle sehr an euren Müttern und Großmüttern, nicht wahr?«
Er schien sich köstlich zu amüsieren. Doch dann wurde er plötzlich ernst: »Sie glauben doch nicht etwa, dass das hier alles nur ein Spiel für mich ist, oder? Hören Sie zu – und es ist mir sehr ernst damit: Sie werden noch heute mit dem Generalbundesanwalt über die Möglichkeit sprechen, das Verfahren gegen mich auszusetzen. Sollte das nicht geschehen, dann werden Sie keine Möglichkeit mehr haben, Fragen an unsere Gäste zu stellen. Ist das klar?«
Wiese lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Er atmete unhörbar durch und antwortete gleichmütig: »Herr Kayibanda, dies war zu keiner Zeit ein Spiel.«
»Gut, dann haben wir uns ja verstanden.« Es klickte in der Leitung, und das Gespräch war beendet.
»Verdammt«, fluchte Wiese. Dann erhob er sich aus seinem Schreibtischstuhl, griff nach dem Sakko und marschierte in den Konferenzraum am Ende des Flures, wo das gesamte Team des
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