Mondberge - Ein Afrika-Thriller
Chance, wenn wir überleben wollen.«
Schon gingen die ersten Soldaten durch den hier deutlich niedrigeren Schnee den Hang hinab. Hans spielte kurz mit dem Gedanken, sie ziehen zu lassen und zu bleiben, doch dann wurde ihm bewusst, dass er das nicht überleben würde. Er rappelte sich auf und trabte langsam hinter der Gruppe her.
60
Im Tal, am Abend der Feier
Der Gesang setzte allmählich ein und war so leise, dass Tom ihn zuerst nicht wahrnahm. Er saß mit Andrea wieder am Seeufer und ließ seinen Blick fasziniert über die grüne Landschaft auf der anderen Seeseite streifen. Andrea lehnte sich an ihn, sein Arm lag um ihre Schultern.
Erstaunt registrierte Tom, dass er vollkommen ruhig war. Zum ersten Mal seit Jahren spürte er kein Gefühl des Getriebenseins, des Ungenügens, das an ihm nagte. Und das nach all den Strapazen der letzten Tage und im Angesicht einer Zukunft, die mehr als ungewiss war. Trotzdem wünschte Tom nichts sehnlicher, als dass alles so blieb – mit Andrea, der traumhaften Umgebung, den leisen Melodien.
Auch Andrea hatte die Musik bemerkt und hob den Kopf. Im Dorf waren die Einwohner mit den Vorbereitungen für die Feier am Abend beschäftigt. Sie sangen bei der Arbeit, ein paar Männer trugen Instrumente auf den Platz, auf denen sie nach und nach zu spielen begannen. Zunächst war keine Melodie zu erkennen, Stimmen liefen durcheinander, passten nicht recht zusammen. Dann fanden sie einen gemeinsamen Weg, schwollen an, nur um sich kurz darauf wieder voneinander zu entfernen. Die unterschiedlichen Stimmen spielten miteinander.
»Tom«, flüsterte Andrea, »was sollen wir nun machen?«
»Wir müssen einen Weg finden, das Tal zu verlassen.«
»Wir könnten wie Georg durch die Höhle gehen.«
»Das werden wir auf jeden Fall versuchen!«
Die Dämmerung stand unmittelbar bevor. Georg eilte aus dem Dorf auf die beiden zu, gefolgt von Peter und Mbusa. Peter schien beim Laufen kaum den Boden zu berühren, und Mbusa sah sich immer wieder nervös nach hinten um.
»Wenn es dunkel ist, beginnen sie mit der Zeremonie«, rief Georg ihnen schon von weitem zu. Als er bei ihnen angekommen war, fügte er leiser hinzu: »Weiße dürfen daran nicht teilnehmen. Kein Fremder darf dabei sein. Verdammt, wenn wir dann noch da sind, war’s das mit uns!«
Auch Peter und Mbusa waren jetzt bei ihnen angekommen.
»Die Höhle«, warf Tom ein. »Wo ist der Eingang?«
»Du darfst nicht durch die Höhle gehen,« fauchte Mbusa so scharf, wie man es von ihm noch nie gehört hatte.
»Warum nicht?«, fragte Tom erstaunt.
»Die Geister werden euch aufhalten. Und dich besonders, weil du die Sache mit deinem Bruder nicht geklärt hast.«
»Ich habe ihn hier im Tal aber nicht mehr gesehen.«
»In der Höhle leben mächtige Geister. Viel mächtigere als hier im Tal. Wer in ihr Reich eindringt, darf keine Last auf dem Herzen haben. Ansonsten werden die Geister dich töten.«
»Das ist doch vollkommener Unsinn«, meinte Georg. »Ich habe dort keine schrecklichen Geister gesehen.«
Langsam wandte sich Mbusa zu ihm um.
»Bist du sicher?«
Erstaunt blickte Georg den Mann neben sich an.
»Ich hatte eine Erscheinung, das ist richtig. Aber die war nicht real.«
»Glaub mir, Georg, alles, was du dort gesehen hast, war echt.« Mbusa dachte nach. »Es ist erstaunlich, dass du überhaupt durchgekommen bist. Normalerweise lassen sich die Geister dort nur durch Opfergaben besänftigen ...«
»Ich habe etwas zurückgelassen ...«
»Was meinst du damit?«
»Eine kleine Figur. Ganz tief in dem Berg ist eine Art Opfertisch. Dort lagen viele kleine Gorilla-Figuren. Und so eine hatte ich auch. Ich habe sie dort gelassen.«
»Dann wird das der Grund gewesen sein, warum dich die Geister in Frieden gelassen haben«, meinte Mbusa.
Tom sah Andrea an, die ihm ebenfalls den Blick zugewandt hatte. Er konnte die Frage in ihren Augen lesen und nickte. Sie griff in ihre Hosentasche und beförderte den kleinen Holzgorilla zutage. Georg entfuhr ein leiser Aufschrei. Er nahm Andrea die Figur aus der Hand, drehte und wendete sie, bevor er wieder zu ihr hochschaute.
»Woher hast du den? Der gehört Hans.« Seine Stimme klang belegt.
»Ich habe ihn gefunden. Woher willst du wissen, dass es seiner ist?«
Georg drehte die Figur um und zeigte auf winzige geschnitzte Zeichen. »Siehst du das hier? Wir hatten alle eine solche Figur, und jede hatte individuelle Zeichen auf dem Rücken.«
»Wer sind denn alle?«, fragte Tom nun.
»Hans, Stefan,
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