Mondberge - Ein Afrika-Thriller
»Was meinst du?«
»Bernard ist nun mal der gewählte Präsident. Er entscheidet über unseren Weg. Sein Wort ist entscheidend.«
»Dir ist doch auch aufgefallen, dass sich die Stimmung unter den Soldaten geändert hat?«, fragte Paul mit zusammengekniffenen Augen.
»Ja, natürlich. Sie sind lahm geworden. Sie wissen nicht mehr, wofür sie kämpfen sollen.«
»Dann müssen wir ihnen wieder einen Grund geben. Dann werden sie motivierter sein. So wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen.«
»Du hast längst einen Plan, habe ich Recht?« Innocent war auf der Hut.
Paul fixierte seinen Leutnant durchdringend. Vorsichtig wiegte er den Kopf hin und her, bis er wieder zu sprechen begann. »Wenn ich einen Plan hätte, auf wessen Seite würdest du dann stehen?«
»Paul! Was ist das für eine Frage?« Innocent erhob sich von der Bank, wandte sich von seinem General ab. »Wir kämpfen seit Jahren zusammen.« Er versuchte den Blick seines Chefs einzufangen, als er sich wieder umdrehte. »Natürlich stehe ich auf deiner Seite. Du erinnerst dich doch an ’94: In Kigali haben wir Seite an Seite gegen die Tutsi-Kakerlaken gekämpft. Wir haben zusammen unsere Heimat verlassen, als die Tutsi die Macht übernahmen. Seitdem haben wir fast jeden Tag zusammen verbracht. Das wird auch weiterhin so sein.« Er machte eine Pause. Dann setzte er sich wieder. »Also, was ist dein Plan?«
»Wir haben beide oft genug erlebt, dass man sich nicht einmal auf seine besten Freunde verlassen kann, wenn es um die großen Dinge geht. Was kannst du mir anbieten, damit ich sicher sein kann, dir vertrauen zu können?«
Innocents Augen wurden schmal. Seine Hand wanderte fast unmerklich an den Hosenbund. Die Waffe war geladen und entsichert. Paul folgte der Bewegung aus den Augenwinkeln. Er sagte nichts, seine Hände ruhten auf dem Tisch. Nur ein leichtes Zucken durchlief seine Finger. Er konnte schnell sein, sehr schnell. Innocent registrierte die winzige Bewegung sehr genau. Dennoch begann er zu sprechen.
»Ich gehe davon aus, dass es darum geht, Bernard vom Thron zu stoßen und einen neuen Präsidenten zu wählen. Solltest du zu irgendeiner Zeit Pläne in dieser Richtung haben, dann stehe ich hinter dir und werde bis zu deinem Tod an deiner Seite stehen.« Wieder folgte ein Moment angespannter Stille. Die beiden Männer sahen sich unbeirrt in die Augen. »Bernard ist in seiner jetzigen Situation handlungsunfähig«, sagte Innocent in ruhigem Ton. »Jemand muss seine Arbeit übernehmen. Und ich finde, dass diese Aufgabe dir zufallen sollte.«
In Pauls Augen blitzte es auf.
»Dir ist klar, was du da sagst?«, fragte er lauernd. »Ich könnte dich auf der Stelle für deine Worte hinrichten lassen. Auf Meuterei steht der Tod.«
»Ich bin mir sicher, dass du die Situation genauso siehst wie ich. Also lass uns etwas tun, damit wir die Macht in die Hand bekommen!«
»Wir?« Pauls Stimme klang zynisch.
»Du als Präsident, ich als dein Stellvertreter.«
»Darüber kann man nachdenken.«
Als Paul verstummt war, bemerkte er Unruhe im Lager und trat hinaus. Die Morgendämmerung schob sich schnell über die Wipfel der Bäume. Die Häscher kamen zurück und trieben einen Teil der Flüchtlinge vor sich her. Sieben waren es, alle an den Händen gefesselt. Sie waren völlig erschöpft, einige hatten tiefe Schnittwunden, die von Macheten herrührten, andere hatten offenbar Schussverletzungen. Paul trat vor das Zelt, um die Schar in Empfang zu nehmen. Zornig starrte er ihnen entgegen, als sie von ihren ehemaligen Kameraden in den Schlamm des Platzes gestoßen wurden. Die meisten blieben dort liegen, ergaben sich bereits ihrem Schicksal. Nur einer rappelte sich sofort wieder auf, obwohl seine Hände auf dem Rücken fixiert waren und er an der Schulter stark blutete. Herausfordernd blickte er Paul in die Augen.
»Ngoga ...«, sagte dieser nach einer Weile. »Wie schön, dich zu sehen. Wie geht es dir?« Paul lächelte. Als Antwort spuckte Ngoga vor ihm auf den Boden. Lange sahen sich die beiden Männer an. Um sie herum hatten sich die Soldaten der gesamten Miliz versammelt. Sie beobachteten den wortlosen Kampf zwischen den beiden starken Männern. Dann begann Paul, Ngoga mit bedrohlich langsamen Schritten zu umrunden.
Nach und nach wurden die Männer nervös, denn es war nicht abzusehen, wer das stumme Duell gewinnen würde. Schließlich beendete Paul die Situation und richtete sich vor den Gefangenen auf: »Führt sie ab!« Dann wandte er sich um und
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