Mondberge - Ein Afrika-Thriller
schienen nicht zu wissen, was der Grund war.
»Ist etwas passiert?«, wandte er sich an Peter, der dem Gespräch folgte.
Peter schüttelte den Kopf. »Nein, bestimmt nicht. Einer der Träger fehlt.« Er sah Tom beruhigend an. »Der ist vermutlich zum Pinkeln in die Büsche gegangen.«
Nach einer Weile hörten sie schnelle Schritte, die sich von unten näherten. Imarika kam mit einem der großen Lebensmittelsäcke auf dem Rücken den Weg hoch. Vor Peter blieb er stehen, warf den Sack auf die Erde und begann wild und wortreich zu gestikulieren. Die anderen Träger kamen mit unruhigen Mienen dazu und lauschten ihrem Kollegen.
»Was sagt er?«, fragte Andrea in die Runde ohne eine Antwort zu bekommen.
Peter hörte sich den Bericht Imarikas bis zum Ende an, dann schwieg er einen Moment.
Schließlich sagte er: »Es sieht ganz so aus, als hätte sich ein Träger entschieden, wieder zurückzugehen.«
»Ohne jemandem etwas zu sagen?«, fragte Andrea ungläubig.
»Er ist nicht zurückgegangen«, flüsterte Imarika auf Englisch. »Das waren die Ebirimu.«
Peter durchbohrte ihn mit Blicken, sagte in harschem Ton etwas zu ihm, woraufhin der Träger mit eingezogenem Kopf ein paar Schritte zur Seite ging. Sofort umringten ihn seine Kollegen, bombardierten ihn mit Fragen und eine noch hitzigere Diskussion begann.
»Was hat das zu bedeuten, Peter?« Andrea sah ängstlich aus.
Peter guckte sie mit belustigter Miene an.
»Naja, sie glauben, dass die bösen Geister den Mann mitgenommen haben.« Er betrachtete einen nach dem anderen, als er fortfuhr. »Aber das ist völliger Schwachsinn. Warum sollten sie das tun?« Er drängte sich an den Wanderern, die sich um ihn geschart hatten, vorbei, um mit den Trägern zu reden.
»Was hältst du davon?« Andrea wandte sich an Tom.
»Keine Ahnung. Böse Geister ...? Es gibt keine Geister!« War der Junge, den Tom gesehen hatte, tatsächlich dagewesen? Hatte er ihn sich eingebildet – oder nicht?
»Aber der Typ ist weg. Das ist Fakt.«
»Dann ist er halt abgehauen. Wir haben doch genug Träger. Einer mehr oder weniger – das ändert nichts.« Tom blickte unsicher in die Runde. »Lasst uns weitergehen.« Nun gab er seiner Stimme einen festen Klang. »Es bringt nichts, sich über Geister den Kopf zu zerbrechen. Wenn es sie tatsächlich geben sollte, dann haben wir nichts mit ihnen zu tun.« Er griff nach seinem Bambusstab und ging los. »Für uns ist ein anderer Gott zuständig – wenn überhaupt«, sagte er über die Schulter, als er an den beiden Guides vorbeiging, um die Überquerung einer Geröllhalde in Angriff zu nehmen.
»Aber du hast ihn doch gesehen«, murmelte Peter ihm zu.
Tom blieb abrupt stehen.
»Woher weißt du das?«, fragte er.
»Nzanzu hat es mir gesagt.« Dann schulterte er seinen Rucksack. Lauter sagte er: »Ja, lasst uns gehen. Wir haben genug Zeit verloren.«
Der Treck setzte sich wieder in Bewegung. Ugander und Deutsche mischten sich allmählich. Tom lief zwischen zwei älteren Männern, deren Namen er sich nicht gemerkt hatte. Er verfluchte sich dafür, aber er hatte nun mal ein schlechtes Namensgedächtnis. Die beiden Männer unterhielten sich beinahe flüsternd, Tom verstand kein Wort. Ihre Stimmen waren so gedämpft, dass Tom sich fragte, wie um alles in der Welt sie sich verstehen konnten, obwohl er zwischen ihnen lief. Nach und nach jedoch führte ihn das beruhigende Raunen ihrer Stimmen in einen tranceartigen Zustand, in dem er die Füße automatisch voreinander setzte.
Kurz darauf bemerkte er Peter, der in geringem Abstand hinter ihm ging. Der Guide redete leise flüsternd mit sich selber, und was er sagte, rauschte an Tom vorbei. Dann begann er einzelne Worte zu verstehen. Es dauerte eine Weile, bis Tom den Sinn dessen erfasste, was Peter sagte. Er sprach mit ihm! Peter stellte ihm immer wieder dieselbe Frage:
»Wer ist der Junge im Nebel gewesen? Versuch dich zu erinnern. Wer war das?«
Wie eine Gebetsmühle wiederholte er die Sätze. Tom marschierte langsam weiter, eingelullt von Peters Stimme. Seine Beine schienen von allein zu wissen, wo es rutschig war. Vor seinem geistigen Auge erschien der Junge erneut. Wer war der Junge auf dem Foto, an das er sich erinnerte hatte?
Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Das Foto hing im Arbeitszimmer seines Vaters an der Wand. Darauf musste sein Vater als Junge zu sehen sein. War die Gestalt im Nebel also sein Vater gewesen? Tom blieb abrupt stehen. Sein Blick war wieder klar. Peter schaute ihn
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