Mondberge - Ein Afrika-Thriller
warm, und in ihr lag die Trauer der Mütter, die wissen, dass ihre Kinder eines Tages fortgehen werden. »Ich habe Kithasamba heute Nacht gesehen.«
»Ich auch.« Kambere senkte den Kopf. »Was wird geschehen?« Jetzt guckte er seine Mutter wieder an. Ein leichter Anflug von Angst ließ seine Pupillen zittern.
Seine Mutter lachte leise. »Nichts Schlimmes – glaub mir, es passiert nichts Schlimmes. Du wirst mit den anderen zur Jagd gehen und ein paar Tage im Wald bleiben. Wenn du zurückkehrst, findet die Beschneidungsfeier statt.« Dann strich sie ihm über den kahl geschorenen Kopf und trat in die Hütte.
Kambere hörte einen Ruf von der Nordseite des Tals. Erst leise, dann immer lauter schallte die Stimme von einem der Männer, die dort neben den Feldern lebten, zu ihm herüber. Der Ruf galt ihm. Ihm und sieben anderen Jungen im Dorf. Er wusste, welche Kinder gemeint waren. Kithasamba hatte es ihm gesagt. Nach und nach kamen auch die anderen Dorfbewohner aus ihren Hütten, lauschten ebenfalls dem Ruf, der sich immer mehr zu einem melodischen Gesang veränderte. In einer kleinen Gruppe sammelten sich die Jungen in der Mitte des Dorfplatzes. Der kleinste, Kakule, war erst vier Jahre alt. Er weinte und schrie nach seiner Mutter. Kambere beugte sich zu ihm hinunter, nahm ihn sanft in den Arm und setzte ihn sich schließlich auf die Schultern, damit er sehen konnte, was um ihn herum geschah.
Kambere war einer der Ältesten. Nur Baluku war noch ein Jahr vor ihm geboren. Sie waren Freunde, seit er denken konnte. Sie hatten ihr ganzes Leben miteinander verbracht und vor allem hatten sie immer wieder von dem großen Tag gesprochen. Sie hatten ihn sich in den buntesten Farben ausgemalt und es kaum erwarten können, ihn zu erleben. Jetzt war es endlich soweit. Langsam erstarb die Stimme am Hang. Sie hatte alle Namen gerufen. Die Namen der Jungen, die beschnitten werden sollten. Die Stimme hatte Kithasamba um Beistand gebeten. Und sie hatte den Zeitpunkt der Beschneidung festgesetzt: Acht Tage noch, dann würde er, Kambere, endlich zu einem vollen Mitglied des Clans.
Dumpf erklang eine Trommel. In langen Abständen gab sie einen durchdringenden Ton nach dem anderen von sich. Eine kleinere Trommel mischte sich mit leichten, hohen Schlägen ein. Kambere blickte sich um, doch er konnte nicht erkennen, wo die Musiker saßen. Rund um ihn und die anderen Jungen herum standen seine Familie, die Nachbarn und Freunde. Sie lachten und scherzten. Die Ersten begannen sich im Takt der Trommeln zu wiegen. Eine schnellere Trommel setzte ein. Seine Mutter war die Erste, die ihre Stimme erhob. Ein klagender Laut drang aus ihrer Kehle, den sie lange hielt; sie hatte die Augen geschlossen. Dann modulierte sie ihre Stimme. Kambere liebte es, wenn seine Mutter sang. Doch diese Melodie hatte er noch nie gehört.
Die Mütter der anderen Jungen fielen nach und nach in den Gesang ein. Die Trommeln wirbelten immer schneller. Die Melodien rankten sich um den heftig pulsierenden Rhythmus der Schläge. Sanftem Wellengang gleich schwangen die Stimmen auf und ab, jede für sich. Dann fanden sie zueinander, stiegen gemeinsam an, sanken wieder ab, bis sie sich wieder voneinander entfernten und jede für sich ihre eigene Linie entwickelte, ohne die der anderen zu stören. Jetzt fielen die Männer einer nach dem anderen mit ein. Sie sangen eine weitere Melodie, die erst geschlossen, dann mehr und mehr in einzelne Stimmen zerstreut erklang. Noch mehr Trommeln lieferten den Melodien einen immer engmaschigeren Boden. Rasseln erklangen aus den hinteren Reihen. Eine, dann zwei, schließlich begannen immer mehr von den Mädchen und Frauen zu tanzen. Sie wiegten ihre Hüften, sanft zuerst, dann – dem Rhythmus der Trommeln folgend – immer schneller. Vom westlichen Rand des großen Platzes mischte sich ein Xylophon ein, das bald schon das Klangmeer dominierte.
Die Welt begann sich um Kambere herum zu drehen. Er musste sich auf den Boden setzen. Vorsichtig stellte er Kakule auf die eigenen Füße, der durch die Musik das Weinen vergessen hatte. Aus der Gruppe der singenden und tanzenden Menschen trat nun Kamberes Vater Tsongo auf die acht Jungen zu. In der Hand hielt er eine Schale mit Kassava, dem weißen Maniokbrei, den sie beinahe jeden Tag aßen. Vorsichtig tunkte Tsongo seine Finger in die Schale, schaute seinem Sohn ernst in die Augen und begann, ihm das Gesicht mit dem zähen Brei zu bestreichen.
Ein lauter Aufschrei ging durch die Singenden, die
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