Mondberge - Ein Afrika-Thriller
bis Innocent hinzutrat, sich vor Paul stellte und die Männer zusammenstauchte. Eingeschüchtert schwiegen sie.
»Willst du meine Stellung untergraben?«, fuhr Paul ihn an.
Innocent betrachtete ihn eine Weile. »Niemals werde ich an deiner Autorität zweifeln!«, sagte er schließlich ironisch. Nach einer Pause fuhr er fort: »Ich werde die Vorräte aus dem anderen Lager holen.«
Er rief ein paar Männer zu sich und ging mit ihnen in die Dunkelheit hinaus. Paul blieb mit wütendem Gesichtsausdruck zurück. Sein Blick fiel auf drei Kindersoldaten. Hitimana, Mugiraneza und Ndabarinzi, der noch einen Kopf kleiner war als die anderen beiden. Er befahl ihnen, genau auf die Gefangenen zu achten, ging in seine Hütte und schlug die Tür zu.
Die restlichen Soldaten verzogen sich in ihre Verschläge. Die drei Jungen blieben verunsichert auf dem Platz, hielten die Gewehre im Anschlag und beobachteten die Deutschen, die sich um Andrea versammelt hatten und sich beratschlagten. Andrea wehrte sich vehement gegen einen Fluchtplan. Sie mussten als Gruppe unbedingt zusammenbleiben. Ganz egal, was passierte. Nur gemeinsam konnten sie gegen die Rebellen etwas ausrichten.
Langsam verebbte die Diskussion. Die Gefangenen hockten in der Dunkelheit und schwiegen. Sie bewegten sich nicht einmal. Tom hatte sich dicht neben Andrea gesetzt, beide hielten den Blick starr auf den schlammigen Boden gerichtet. Die Kälte der Nacht kroch in ihre Kleidung. Nebel zog wie ein unendlich langer Schleier durch das gespenstisch stille Lager und wand sich um die Schweigenden, die beinahe friedlich wirkten. Tom dachte an die unheimlichen Begegnungen im Wald, an die Geschichten, die er über die Mondberge gehört hatte. Den Einheimischen waren sie heilig, die Spitzen gehörten den Geistern und Ahnen. Tom fühlte sich, als wäre sein Kopf mit Watte gefüllt, leicht, dumpf, benebelt.
Unvermittelt erhob sich Michael von seinem Platz, ganz langsam. Mit halb geschlossenen Augen drehte er sich um und ging wortlos auf den Rand des Lagers zu, allein, eigentümlich zielgerichtet. Dann verschwand er in der Dunkelheit. Keiner außer Tom hatte ihn gesehen.
Tom schüttelte seine Betäubung ab und stand ebenfalls auf. Er sah sich um. Nicht einmal die drei Kindersoldaten hatten etwas bemerkt. Alle schienen wie in eine Starre verfallen zu sein. Er lief Michael nach. Weiterhin keine Reaktion. Es war, als sähen die anderen durch ihn hindurch. Er tauchte in die Schatten der riesigen Pflanzen ein.
»Michael!«, rief er leise.
Tom bekam keine Antwort. Er tastete sich durch das Unterholz, blieb stehen, lauschte. Doch nur die unheimliche Stille antwortete ihm. Er bahnte sich den Weg zurück zum Lager.
»Wo kommst du denn her?«, wollte Andrea wissen.
Doch bevor Tom antworten konnte, forderte einer der Kindersoldaten ihn resolut auf, sich hinzusetzen und zu schweigen. Wieder begann das Warten. Tom dachte noch immer fieberhaft darüber nach, was mit Michael geschehen war, da zischte Andrea ihm leise zu:
»Die anderen Soldaten haben sich hingelegt und scheinen zu schlafen. Nur noch die drei Kleinen halten Wache.«
Sie erhob sich und ging vorsichtig auf die drei zu. Sofort richteten diese ihre Waffen auf sie. Andrea hob beschwichtigend die Hände und flüsterte:
»Wer ist eigentlich bei euch der Chef? Paul oder Innocent?«
»Bernard ist unser Präsident«, antwortete Ndabarinzi mit leicht brüchiger Stimme.
»Und wo ist dieser Bernard?« Andrea blickte sich mit gespielter Überraschung um. »Ich habe ihn hier noch nicht gesehen.«
»Er lebt in Deutschland.«
»Aha, in Deutschland. Weißt du überhaupt, wo Deutschland liegt?«
»Deutschland liegt in Europa«, meinte Ndabarinzi unsicher und schaute seine Kameraden Hilfe suchend an.
»Und willst du auch irgendwann einmal nach Europa?«, fragte Andrea weiter, während sie ihm immer näher kam. Ndabarinzi schwieg. »Ich glaube, dass ihr nie nach Europa kommen werdet. Vorher wird euch irgendein Befehlshaber erschießen, weil ihr einen Fehler gemacht habt.« Wieder folgte Schweigen. »Wollt ihr eure Familien nicht wiedersehen? Eure Eltern? Eure Geschwister? Eure Nachbarn? Eure Freunde? Vielleicht leben sie noch irgendwo. Ihr könnt sie suchen. Und ihr könnt dem hier ...«, sie wies mit der Hand auf das dreckige Lager, »... diesem Dreck und dem Tod entfliehen. Ihr müsst es nur wollen. Genau jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um abzuhauen. Die anderen sind auf dem Weg, um Vorräte zu holen, oder haben sich verkrochen und
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