Mondberge - Ein Afrika-Thriller
seine Männer aus den Verschlägen. Er rief zum Aufbruch.
Die Soldaten packten beinahe alles ein, was ein deutlicher Hinweis darauf war, dass sie nicht an diesen Ort zurückzukehren planten. Um die Gefangenen scherte sich niemand. Sie wussten weder, wo die Soldaten hingehen wollten, noch, was mit ihnen geschehen sollte. Bei aller Geschäftigkeit um sie herum blieb es ihr Los, gefesselt auf dem Boden zu sitzen, ohne Essen, ohne Trinken, unfähig, irgendetwas zu tun.
Als sich der Tross langsam in Bewegung setzte, saßen sie noch immer dort. Lediglich vier Soldaten waren zu ihrer Bewachung abkommandiert und blieben im Lager zurück. Rukundo, etwa Mitte zwanzig, und drei Kindersoldaten. An einer Hand konnte Birgit nun abzählen, wie wichtig sie und die anderen Gefangenen für Paul noch waren. Diese Wachen waren nicht ernst zu nehmen. Dennoch hatte Paul ihnen eindringlich klargemacht, wie wichtig ihre Aufgabe sei. Und dass er sie eigenhändig umbringen werde, sollten sie auch nur einen der Gefangenen fliehen lassen.
Kurz bevor die Männer im Wald verschwanden, löste Hitimana sich aus seiner Reihe und schlich zu den Gefangenen zurück. Er blickte sich ständig prüfend um, ob die anderen sein Weggehen bemerkten. Er fixierte die gefesselten Geiseln, entschied sich dann für Birgit. Lautlos hockte er sich neben sie. Sie sah ihn forschend an.
»Die Mädchen ...«, sagte er vorsichtig. »Achte darauf, dass sie gut behandelt werden.«
Birgit betrachtete ihn spöttisch. »Ist dir aufgefallen, dass ich selbst gefesselt bin?«, fragte sie zynisch. Hitimana ignorierte ihre Worte.
»Sprich mit Rukundo. Er soll sie gehen lassen.«
Birgit lachte leise. »Und du glaubst wirklich, er hört auf mich, wenn Paul ihm dafür den Tod androht? Das ist doch lächerlich.«
Hitimana fixierte sie einen Moment nachdenklich. Dann sagte er: »Nein, vielleicht nicht. Aber versuch es trotzdem.«
In diesem Moment entdeckte Birgit die Hoffnung in seinen Augen. Sie bemerkte das Feuer, das in Hitimana brannte. Sie nickte stumm.
»Danke«, hauchte der Junge.
Eilig erhob er sich wieder und gesellte sich zu seinen Kameraden, ohne sich noch einmal umzusehen. Die schmutzigen Uniformen verschwanden in einer langen Reihe zwischen den Bäumen, eine Weile hörte Birgit sie noch durch das Unterholz brechen. Nach und nach wurden die Schritte und die Stimmen leiser. Dann kehrte Stille ein.
Teil 2
30
Berlin, 16. Juni
Das Telefon klingelte morgens um 04:05 Uhr. Obwohl Sven Wiese sich im Tiefschlaf befand, brauchte er keine zehn Sekunden, um das Gespräch anzunehmen. Als Leiter des Krisenreaktionszentrums beim Auswärtigen Amt war er routiniert darin, sich zu jeder Tageszeit auf Knopfdruck in einen professionellen Zustand zu versetzen.
Seine Mitarbeiterin Anja Paffrath meldete sich von ihrem Schreibtisch.
»Guten Morgen Herr Wiese. Das Mutterschiff erwartet Sie. Ein S8 in Uganda. Ihr geliebtes Afrika mal wieder. Soll ich den Krisenstab einberufen?«
»Um das zu entscheiden, brauche ich Details.« Wiese hatte sich aufgesetzt und vom Bett abgewandt, um seine Frau nicht zu stören, die neben ihm lag und unbeirrt weiterschlief.
»Ich weiß. Nicht per Telefon, sorry. Wegen der Geheimhaltungsstufe. Wie gesagt, ein S8.«
Wiese überlegte eine halbe Sekunde.
»Okay, dann beordern Sie die Jungs von BKA und BND eben auf Verdacht. Denken Sie auch an die anderen Ämter. Und senden Sie mir die Fakten bitte schriftlich und verschlüsselt auf mein Handy. Ob wir die GSG 9 auch brauchen, entscheide ich dann auf dem Weg. Bis gleich.«
Wiese beendete das Gespräch und öffnete die Schublade seines Nachttisches. Ohne Licht zu machen griff er zielsicher aus den Dingen, die er dort aufbewahrte, eine Armbanduhr, seinen Diplomatenausweis, eine Magnetkarte, ein Smartphone sowie den Akkurasierer. Als er das Smartphone einschaltete und den Ladezustand kontrollierte, waren im Display-Licht zwei Fotos zu erkennen, die auf dem Nachtisch standen. Das eine zeigte ihn im Gespräch mit Bill Clinton, dem er auf einer Afrika-Konferenz begegnet war. Das andere zeigte Sven Wiese inmitten einer Gruppe von Triathlon-Bikern, alle um die dreißig. Mit seinen fünfzig Jahren hob Wiese sich von der Gruppe deutlich ab. Dennoch wirkte er auf dem Bild mindestens so athletisch und durchtrainiert wie seine jüngeren Gefährten.
»Vielleicht wirst du eine Weile auf dein Rad verzichten müssen«, murmelte seine Frau im Halbschlaf. Wiese lächelte in ihre Richtung, griff nach seiner immer gepackten
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