Monde der Finsternis 03 - Mond der Ewigkeit
Turmruine von St. Michaels.
„Amber, komm, es gibt gleich eine Dusche!“, rief Carole ihr zu.
Auch Charles winkte ihr, aber sie wollte noch nicht nach unten gehen, denn sie spürte plötzlich eine Verbindung zur Vergangenheit. Sie presste sich dichter an die Mauer, als es heftiger regnete. In Gedanken versunken, rieb sie mit dem Daumen über die Fibel, die sofort in ihrer Hand vibrierte.
„Amber, komm zu mir.“
Da war es wieder, das Flüstern, das sie gehört hatte, als sie in Charles’ Auto gestiegen war. Dieses Mal war sie sicher, dass es sich nicht um Aidan handelte. Amber drehte sich um und sah durch das Tor zur anderen Seite des Hügels, wo es seltsamerweise nicht regnete. Von Neugier getrieben trat sie durch das Tor und lief, die Rufe ihrer Freunde ignorierend, den Hügel hinab. Hier schien die Jahreszeit weiter vorangeschritten zu sein, denn auf der Wiese blühten Spätsommerdahlien. Die Sonne brannte auf ihrer Haut und am Horizont flimmerte die Luft von der Hitze. Amber wandte sich um und sah, wie hinter ihr die Ruinen im Nebel verschwanden. Sicher gab es Wetterscheiden, aber nicht auf diesem engen Raum und schon gar nicht mit wechselnden Jahreszeiten. Etwas stimmte nicht.
Sie folgte einem naturbelassenen Pfad hinab bis zu einem Getreidefeld, dessen Ähren im Wind hin- und herschwangen. Als sie sich dem Feld näherte, erkannte sie am Ende ein Dutzend Frauen und Männer, Bauern, die das Getreide mit einer Sense mähten und mithilfe von hölzernen Dreschflegeln die Körner aus den Ähren schlugen. Kinder sammelten sie auf und warfen sie in eine Tonschale. Bilder einer längst vergangenen Zeit, dem Mittelalter. Nachdem sie die Ruinen passiert hatte, musste sie auf irgendeine Weise in die Vergangenheit geraten sein. Sie sah auf die Fibel, die sich in ihre Handfläche brannte und für das Geschehen verantwortlich war.
Eines der Kinder sprang auf und rannte mit ausgestrecktem Zeigefinger auf sie zu. Amber konnte nicht verstehen, was es rief. Es war eine Sprache, die sie an das Schottisch-Gälische erinnerte und doch anders klang. Kehliger, abgehackter. Der Junge stoppte in einiger Entfernung und fuchtelte vor Aufregung mit den Armen. Sie überlegte, umzudrehen, aber ihre Neugier war zu groß. Über sein schmales Gesicht zogen sich dunkle Streifen von seinen schmutzigen Händen. Die anderen hoben die Köpfe und beäugten Amber voller Argwohn. Zwei von ihnen steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Sie beugte sich vor und winkte den Jungen zu sich. „Keine Angst, ich tu dir nichts“, versuchte sie, ihn zu beruhigen und beugte sich zu ihm hinab. Doch er wich mit angstgeweiteten Augen zurück. Als sie einen Schritt vortrat, drehte er sich um und rannte schreiend davon. Die anderen folgten seinem Beispiel, ließen die Gerätschaften fallen und flohen.
„Hey, wartet doch. Ich will euch nichts tun!“, rief Amber ihnen hinterher. Sie antworteten nicht, sondern stoben in Panik auf einen kleinen Wald zu, der am Fuß des Hügels lag.
Sah sie so furchterregend aus in ihrer modernen Kleidung? Wahrscheinlich hatten sie noch nie eine Frau in Hosen gesehen. Sie sah an sich hinunter und zuckte mit den Achseln, als der Boden von trommelnden Hufen unter ihren Füßen bebte. Eine Schar Krieger mit rotblondem Haar und Bärten galoppierte auf die Flüchtenden zu. Die Hünen aus dem Spiegel! In ihren Händen schwangen sie Streitäxte. Die Schreie der Verfolgten hallten durch die Ebene. Sie blieb wie angewurzelt stehen und beobachtete das Treiben. Sie musste einen Albtraum haben oder einen Film sehen. Alles wirkte irreal, wenn sie nicht die Erschütterung unter ihren Füßen gefühlt hätte. Ein Krieger schleuderte einen Spieß auf einen Flüchtenden. Die Waffe durchbohrte dessen Oberkörper und streckte ihn nieder. Die Bauern flohen in den Wald, hofften vermutlich, die wilden Reiter auf diese Weise abschütteln zu können. Ein Irrtum, den sie schwer bereuten, denn schon durchbrach der erste Krieger das Unterholz und trabte hinein. Amber konnte nicht mehr tatenlos zusehen, sie hatte Mitleid mit den Bauern. Sie konzentrierte sich auf ihre Kräfte und spürte, wie sich die Energie in ihren Fingerspitzen sammelte. Die Büsche am Waldrand entflammten durch ihren mentalen Befehl. Die Pferde der Krieger stiegen wiehernd und weigerten sich, das Feuer zu durchspringen. Wütendes Gebrüll aus den heiseren Kehlen der Männer schallte herüber, als sie ihre Anwesenheit bemerkten. Der Anführer wendete sein Pferd und forderte
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