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Monde

Titel: Monde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Sind Sie dabei?«
    »Ja«, sagte Baedecker. Er drehte sich zu Gilroth um, der sich schon abgewandt hatte. »Don, danke für den Vorschlag. Ich melde mich bei Ihnen.«
    »Gut«, sagte der Verwaltungsangestellte und salutierte den dreien mit zwei Fingern.
    Tucker fuhr sie mit einem grünen Plymouth der NASA die fast dreizehn Kilometer über den vierspurigen Kennedy Parkway zum Startplatz 39-A. Die Montagehalle, die mit Flutlicht von oben und unten angestrahlt wurde, ragte unvorstellbar hoch über ihnen auf. Baedecker musterte die amerikanische Flagge, die auf eine Ecke der Südseite gemalt war, und stellte fest, dass allein diese Flagge so groß war, dass man darauf hätte Football spielen können. Hinter der Montagehalle wurde das Raumfahrzeug sichtbar, eingehüllt in einen schützenden Kokon von Startrampen. Suchscheinwerfer schnitten Lichtkegel aus der schwülen Luft, überall auf dem Gitter von Rohren und Streben verbreiteten Lichter ihren grellen Schein, und Baedecker fand, dass das Ganze an einen gigantischen Ölbohrturm erinnerte, an dem ein interplanetarischer Supertanker gefüllt wurde.
    Sie passierten ein paar Kontrollpunkte, dann fuhr Tucker die lange Rampe zum Fuß des Versorgungsturms hinauf. Ein Wachsoldat trat ihnen entgegen, erkannte Tucker, salutierte und zog sich in den Schatten zurück. Baedecker und Scott stiegen aus dem Wagen und starrten zu der Maschine hinauf, die über ihnen schwebte.
    In Baedeckers Augen sah das Shuttle – oder SSTS, das Space Shuttle Transport System, wie die Ingenieure die ganze Anlage von der Fähre über den Außentank bis zu den Feststoffraketen gern nannten – behelfsmäßig und linkisch aus, eine unglückliche Mischung, weder Flugzeug noch Rakete, quasi eine evolutionäre Zwischenstufe. Baedecker dachte nicht zum ersten Mal, dass er eine Art raumtüchtiges Schnabeltier vor sich hatte. Doch jetzt wurde ihm mit voller Wucht bewusst, dass das Space Shuttle – das bewunderte Symbol amerikanischer Technologie schon jetzt zu einem Sammelsurium veralteter, fast überflüssiger Ausrüstung geworden war. Wie die älteren Piloten, die sie flogen, trugen auch die überlebenden Shuttles die Träume der Sechziger- und die Technologie der Siebziger- in die unbekannten Räume der Neunziger Ja hre und ersetzten die grenzenlose Energie der Jugend durch die Weisheit schmerzvoll gelernter Lektionen.
    Baedecker gefiel der rostfarbene externe Treibstofftank. Es war logisch, keinen kostbaren Treibstoff zu verbrennen, um tonnenweise Farbe ins Weltall zu befördern, nur damit der dünne, entbehrliche Tank Sekunden später verglühte, aber als Folge dieser logischen Entscheidung sah das Shuttle alltäglicher aus, fast wie etwas vom Schrottplatz, ein gebrauchter Lastwagen ohne jede Ähnlichkeit mit den blitzsauberen Vorfü hrmodellen, die in den Anfangstagen der Raumfahrt geflogen waren. Trotz oder vielleicht gerade wegen dieses etwas schäbigen Eindrucks, den die ganze unförmige Maschine machte, wurde Baedecker klar, dass er, wäre er immer noch ein fliegendes Mitglied des Teams, das Shuttle wahrscheinlich mit der reinen, nicht vernünftig zu begründenden Leidenschaft lieben würde, die Männer normalerweise ihren Ehefrauen oder Geliebten vorbehielten.
    Als hätte er Baedeckers Gedanken gelesen, sagte Tucker: »Eine Schönheit, nicht?«
    »Allerdings«, stimmte Baedecker zu. Ohne nachzudenken, ließ er den Blick zur Heckverbindung der rechten Feststoffschubdüse wandern. Falls dort irgendwelche Dämonen an den O-Ringen lauerten, die nur darauf warteten, Schiff und Besatzung zu vernichten, indem sie mit Flammenzungen über die wasserstoffgef ü llte Bombe des externen Tanks leckten, waren sie heute nicht zu sehen. Allerdings hatte die Besatzung der Challenger sie auch nicht gesehen.
    Rings um sie herum waren Männer in weißen Kitteln mit der insektenhaften Zielstrebigkeit von Technikern am Werk. Tucker holte drei gelbe Schutzhelme vom Rücksitz des Plymouth und warf einen Baedecker, den anderen Scott zu. Sie traten näher heran, verdrehten die Hälse und spähten immer wieder hinauf.
    »Nicht schlecht, was?«, sagte Tucker.
    »Was fü r ein Anblick«, murmelte Baedecker.
    »Gefrorene Energie«, murmelte Scott.
    »Was war das?«, fragte Tucker.
    »Als ich in Indien war«, sagte Scott so leise, dass man seine Stimme kaum über dem Hintergrundlärm der Arbeiter und Kompressoren in der Nähe hören konnte, »betrachtete ich aus irgendeinem unerfindlichen Grund alles – sah tatsächlich alles

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