Monde
den Sendeplan der fundamentalistischen Radiostationen bestimmte. Die ganze Szenerie wirkte gleichzeitig billig und gruselig. Das graue Haar des Talkmasters passte perfekt zum grauen Polyest er seines Anzugs, und eine zehn stellige Telefonnummer blieb ständig eingeblendet, falls sich ein Zuschauer plötzlich zu einer Spende veranlasst sehen sollte und die Anschrift vergessen hatte, die die Gattin des Talkmasters, angetan mit weißer Perücke, alle paar Minuten vorzeigte. Die Frau schien mit einem Nervenleiden gestraft zu sein, das Weinkrämpfe ohne ersichtlichen Grund auslöste. In den zehn Minuten, da Baedecker die Sendung verfolgte, bevor Tom Gavin auftrat, weinte die Frau, als sie Briefe von Zuschauern vorlas, die bereut hatten und während der Sendung konvertiert waren; sie weinte, nachdem ein querschnittsgelähmter ehemaliger Countrysänger seine Version von »Blessed Redeemer« zum Besten gegeben hatte; und sie weinte, als der nächste Studiogast, eine Frau, vom wundersamen Verschwinden eines acht Pfund schweren Tumors von ihrem Hals berichtete. Unglaublicherweise verlief das Augen-Make-up der Predigergattin, das mit einem Spachtel aufgetragen worden zu sein schien, nicht ein einziges Mal.
Baedecker hatte seinen Schlafanzug übergestreift und wollte gerade aufstehen, um den Fernseher auszuschalten, als er seinen ehemaligen Mannschaftskameraden entdeckte.
»Unser nächster Gast durfte die Schönheit der Schöpfung Gottes in einer Weise erleben, die den wenigstens von uns je vergönnt sein wird«, sagte der Gastgeber. Die sonore Stimme des Mannes hatte einen ernsten, aber zuversichtlichen Tonfall angenommen, den Baedecker sein ganzes Leben lang von erfolgreichen Vertretern und mittleren Beamten gehört hatte.
»Gelobt sei Jesus Christus«, fügte seine Frau hinzu.
»Air Force Major Thomas Milburne Gavin war nicht nur in Vietnam ein Held … «
Tom hat Düsenflugzeuge von Stützpunkten in Kalifornien nach Okinawa geflogen, dachte Baedecker. Nun gut.
» … er wurde auch mit dem Freiheitsorden des Präsidenten ausgezeichnet, nachdem sein Apollo- Raumfahrzeug 1971 zum Mond geflogen war«, sagte der Gastgeber.
Wir haben alle einen Orden bekommen, dachte Baedecker. Wenn wir eine Schiffskatze dabeigehabt hätten, hätten sie der auch einen verpasst.
» … ein Testpilot, Ingenieur, Astronaut und angesehener Wissenschaftler … «
Tom ist kein Wissenschaftler, dachte Baedecker. Das war keiner von uns, bis Schmidt geflogen ist. Tom bekam seinen Titel in Ingenieurswissenschaften am Cal Tech viel später als die meisten von uns. Es ging auch nicht anders, sonst hätte er aus dem Programm auf Edwards aussteigen müssen.
» … und, möglicherweise am bedeutendsten, der erste wahre Christ, der den Mond betreten hat. Meine Freunde, Major Thomas M. Gavin!«
Tom hat den Mond nie betreten, dachte Baedecker.
Gavin schüttelte dem Gastgeber die Hand, bekam einen Kuss von der Frau des Gastgebers und nickte dem querschnittsgelähmten Sänger und der Frau zu, die den Tumor verloren hatte. Er setzte sich auf das Ende der langen Couch, während der Gastgeber und seine Frau auf etwas Platz nahmen, das Ohrensessel sein mochten, aber – zumindest auf Baedeckers kleinem Bildschirm – sehr an Plüschthrone erinnerten.
»Sagen Sie uns, Tom, wann haben Sie zum ersten Mal die Stimme des Herrn gehört, als Sie auf dem Mond spazieren gegangen sind?«
Gavin nickte und schaute in die Kamera. Für Baedecker sah er nicht anders aus als damals, 1970 und ‘ 71, als sie zusammen mit Dave Muldorff endlose Stunden in Flugsimulatoren verbracht hatten. Tom trug einen Fliegeroverall der Air Force, auf den verschiedene Flugabzeichen der NASA aufgenäht waren. Er wirkte schlank und fit. Baedecker hatte seit der Zeit ihres Mondflugs zwanzig Pfund zugenommen und passte in keine alte Uniform mehr.
»Ich freue mich schon darauf, Ihnen davon zu erzählen«, sagte Gavin mit dem dünnen, gepressten Lächeln, an das Baedecker sich noch gut erinnern konnte, »aber zuvor, Paul, sollte ich erwähnen, dass ich niemals auf dem Mond spazieren gegangen bin. Unsere Mission erforderte, dass sich zwei Besatzungsmitglieder mit dem LM – dem Lunaren Exkursionsmodul, wie wir es nannten – über die Mondoberfläche bewegten, während das dritte Besatzungsmitglied in der Umlaufbahn bleiben, sich um die Systeme des Kommandomoduls kümmern und Funksprüche von Houston weiterleiten musste. Und diese Aufgabe fiel mir zu.«
»Ja, ja«, sagte der Gastgeber, »aber
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