Mondgeschöpfe (Phobos)
Beinen hindurch den Kopf des Getroffenen, zerrte ihn zu mir hoch und brach ihm das Genick an der Kante des Wagendaches.
Ich sprang hinunter und ging langsam auf Manu zu. Ihre Haut war so weiß, dass sie im Lichte des Mondes beinahe leuchtete. Nacktes Entsetzen hatte ihre herben, aber normalerweise angenehmen Gesichtszüge völlig verzerrt. Schließlich brach ich das Schweigen und sagte: "Es ist vorbei. Lass uns jetzt gehen!"
Irgendetwas in meiner Stimme schien auf sie wie ein Rettungsanker zu wirken. Sie begann zu weinen. Aber das war wohl mehr die Erleichterung. Ich fasste sanft ihre Schulter und führte sie durch die Stadt zu meinem Wagen, den ich am Bahnhof geparkt hatte.
Ich ließ den Wagen nicht an. "Ich weiß nicht, wohin ich fahren soll", sagte ich.
"Ich weiß nicht, was passiert ist", entgegnete Manu. Ich erzählte es ihr. Ich erzählte ihr von E.G.C., von den Versuchen an Menschen, von den Möglichkeiten, einen schon ausgewachsenen Menschen grundlegend zu verändern. Ich erzählte ihr von meinen Ausbrüchen aus der Versuchsstation in Afrika, der misslang und meinem letzten Ausbruch in Südamerika, der gelang, weil mich die zunehmende Veränderung auch mit sehr ungewöhnlichen Fähigkeiten ausgestattet hatte, die ich für mich nutzen konnte. Ich ließ es zu, dass die dichten Wellen der Depression mich wieder überschwemmten, wie es immer geschieht, wenn ich mich an diese Dinge erinnere.
Wir stiegen wieder aus, gingen zum Bahnhof hinüber, holten uns Kaffee und tranken ihn im Wagen. Manu gefiel mir. Ich hatte es nicht so sehr mit Frauen. Vor allem nicht in dieser permanenten Fluchtsituation. Manu sah allerdings auch nicht zu sehr nach Frau aus. Sie war eher der Typ, den du bei einem Einbruch durchs Fenster schiebst, weil du selbst zu breit dazu bist. Allerdings war da immer noch jener Rest von Misstrauen: Die Arme von E.G.C. waren lang. Und vielleicht hatte selbst Renfields Tod nur dazu gedient, einen kleinen Vampir auf mich anzusetzen. Meine innere Alarmanlage aber schwieg. Irgendwann musste ich ja schließlich mal wieder damit anfangen zu vertrauen, sonst würde ich verdammt einsam sterben.
"Ich verstehe immer noch nicht, wo die beiden Typen herkamen. Woher wussten die, wo wir sind?", murmelte Manu in ihren Kaffee hinein.
"Ich glaube, dazu weiß ich die passende Antwort", sagte ich. "Sie haben mein Versteck observiert und sind Renfield gefolgt."
"Und warum haben sie dich noch nicht umgebracht?"
"Sie bringen mich nicht um. Noch nicht. Sie versuchen, mich unter Kontrolle zu halten. Sie sind viel zu sehr an meinen besonderen Fähigkeiten interessiert, als dass sie mich umbrächten. Sie wollen sie mir abzapfen."
"Ist das nicht sehr riskant für sie?"
"Ja, und deshalb versuchen sie auch jedweden Kontakt meinerseits zu anderen Menschen zu verhindern. Sie verhindern konsequent, dass ich Verbündete finde. Renfield war so ein Verbündeter. Jetzt bist du mit mir verbündet. Und somit in außerordentlicher Gefahr."
"Ich bin schon seit meiner Geburt in außerordentlicher Gefahr. Das sind wir alle."
"Wie lange kanntet ihr euch schon, Renfield und du?"
"Seit ungefähr zwei Jahren. Wir haben uns in der Psychiatrie kennengelernt. Ich war zum Entzug dort und Renfield als psychisch gestörter Straftäter."
"Psychisch gestört?"
"Er litt unter einer ganz seltsamen Form der Depression. Kryptogen. Und manchmal, nicht immer, fiel er, wenn es ganz schlimm wurde, Frauen an."
"Hat dich das nicht irritiert?"
"Er hat nicht mich angefallen."
"Hat dich das nicht irritiert, dass er andere Frauen anfiel?"
"Ich habe das selbst nicht miterlebt. Das war ein Stück Vergangenheit. So wie meine Sucht ein Stück Vergangenheit war. Weißt du, so etwas schweißt auch zusammen. Wir wussten genau, dass wir bei den sogenannten Normalen nicht landen konnten. Aber gemeinsam können zwei Verrückte schon mal ein bisschen Normalität leben. Er wird mir fehlen."
Ich vertiefte dieses Thema nicht weiter. Allerdings spürte ich, dass es eine Entscheidung zu treffen gab.
"Du kannst nicht zurück. Wo immer du gewohnt hast, du kannst nicht wieder dorthin. Sie werden dort schon auf dich warten", entgegnete ich zum Schluss. Aber natürlich behielt ich gegenüber Manu nicht das letzte Wort.
Manu nahm diese Eröffnung gelassen auf. Ich begann ihre Anormalität zu schätzen. Manu sagte: "Aber du weißt sicher, wohin du gehen kannst. Du lebst ja schon lange genug im Untergrund. Da hat man doch sicher nicht nur eine Zuflucht."
Sie hatte recht.
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