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Mondglanz

Mondglanz

Titel: Mondglanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
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genau, irgendwann würde er einfach verschwinden.
    Wenn ich nicht will, dass mir dasselbe mit Marsch passiert, muss ich einen Weg finden, ihn zurückzuholen. Ich habe es satt, Menschen zu verlieren. Bei Springern hat das gefälligst umgekehrt zu sein. Wir sind es, die schnell leben und jung sterben.
    Was im Moment verdammt verlockend klingt.
    Ich vermisse den Grimspace. Aber der Grimspace ist ein gefährlicher Geliebter. Jedes Mal, wenn wir springen, sind wir Navigatoren einer unfassbaren Belastung ausgesetzt, die uns nach und nach das Gehirn verdampft. Trotzdem habe ich das Gefühl, ein guter, harter Sprung wäre genau das, was ich jetzt brauche.
    Ich habe mir regelmäßig Injektionen verabreicht, und meine Knochen sind wieder in Ordnung, aber niemand kann sagen, wie sich der nächste Sprung auf meinen Körper auswirken wird. Ich verfüge über eine einzigartige Fähigkeit der Selbstheilung, die anderen Organen Stoffe entzieht, um den Schaden in Ordnung zu bringen, den der Grimspace in meinem Gehirn anrichtet. So bin ich überhaupt zu dieser seltsamen Knochenerkrankung gekommen. Das nächste Mal könnte mein Herz dran sein oder meine Lunge, und ich wäre tot, noch bevor ich auf dem Transplantationstisch liege. Solange kein Implantat dafür sorgt, dass nur unwichtige Systeme angegriffen werden, könnte ein einziger weiterer Sprung mein letzter sein.
    Und diesen Verlust spüre ich jeden Tag. Ich kann ihn wegsperren, verhindern, dass er mich in den Wahnsinn treibt, aber mehr auch nicht. Die Sehnsucht ist immer da. Ich sehne mich nach dem Grimspace wie nach meinem nächsten Atemzug. Stattdessen muss ich mich mit so bescheuerten Kinkerlitzchen herumschlagen wie die Diplomatie, während ich am liebsten lauthals schreien würde.
    Constance unterbricht meine depressiven Gedanken. »Sie sagten, ich könnte Ihnen behilflich sein. Wie kann ich Ihnen zu Diensten stehen?«
    Es bleiben noch Stunden bis zu dem Treffen mit den Industriellen. »Könntest du mir den nächsten Eintrag in Mairs Tagebuch vorspielen?«
    »Daten werden geladen.«
    Mit geschlossenen Augen warte ich darauf, die vertraute raue Stimme der Toten zu hören.
    »Heute haben wir Tanse verloren.« Die Worte klingen hart und tonlos, trotzdem höre ich die Trauer in Mairs Stimme. Hier im Dunkeln ist das mehr als nur ein bisschen unheimlich. Es ist, als würde sie aus dem Grab die Hand nach mir ausstrecken. Adele würde jetzt wahrscheinlich sagen, es läge ein Hauch von Marias Gnade in der Technologie, die mir ermöglicht, Mairs Worten auch nach ihrem Tod zu lauschen.
    »Einer der Bagger ist explodiert. Die Explosion hat die Hälfte der Stützen weggerissen. Und Tanse. Es wird Monate dauern, bis alles wieder läuft. Manchmal frage ich mich, ob es die Sache wert ist. Mein Sohn ist zu nichts zu gebrauchen, seit seine Frau gestorben ist, aber meine Tochter macht mir Hoffnung. Männer.« Sie schnaubt verächtlich.
    »Manchmal weiß ich nicht, warum ich mir das alles antue. Diesen miesen, undankbaren Bastard zum Beispiel. Tanse will, dass ich ihn rette, sonst hätte ich ihn längst erschossen. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so schwierig und sturköpfig ist.« Jetzt klingt sie leicht amüsiert, aber dann senkt sie die Stimme, als würde sie ihrem Tagebuch etwas anvertrauen, das nie jemand zu hören bekommen soll. »Trotzdem tut es mir unendlich leid, wie sehr ich ihm wehtun muss. Ihn zerstören und von Grund auf wieder neu aufbauen ist der einzige Weg. Aber er kapiert es natürlich nicht. Ich sehe es in seinen Augen. Ich sehe seine Angst.«
    Ihn zerstören? Bestimmt meint sie mental. Sie hat ihm doch nicht echte Verletzungen zugefügt, oder? Da fällt mir wieder ein, wie Marsch sagte, er hätte die ersten drei Monate gefesselt verbracht. Muss ich ihn wie einen Kriminellen behandeln, ihn fesseln und foltern, um seinen Geist wieder aufzubauen? Ich weiß nicht, ob ich das kann. Allein bei der Vorstellung wird mir schlecht.
    Es muss einen anderen Weg geben.
    Die Erfolgsaussichten sind nicht gerade gut, aber ich frage trotzdem: »Weißt du irgendetwas darüber, was Mair mit Marsch gemacht hat, als er das erste Mal nach Lachion kam?«
    Constance schüttelt den Kopf, ohne auch nur eine einzige Datenbank zu durchsuchen. »Leider verfüge ich aus dieser Zeit nur über Informationen, die Mair manuell eingegeben hat. Meine Fähigkeiten damals waren weit beschränkter, als sie es jetzt sind.«
    Ich lächle wehmütig, auch wenn Constance es wahrscheinlich nicht sehen

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