Mondglanz
Dämmerung, streng, aber frisch. Als er schließlich ein Gerät mit Nadeln an der Spitze hervorholt, zucke ich zusammen.
»Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist? Ist es nicht gefährlich?«
»Ich werde Sie nicht verletzen«, versichert er. »Ich werde lediglich ein Ornament auf Ihrer Haut anbringen. Ihr Menschen nennt es Tätowierung. Sie können es später wieder entfernen lassen, aber es ist wichtig, dass niemand diese Verletzung zu Gesicht bekommt, und dies ist die einzige Art, sie zu überdecken, die bei meinem Volk keinen Verdacht erregt.«
Vel desinfiziert die Nadeln, und ich trete einen Schritt von ihm weg. »Ich könnte … ein Tuch tragen.«
»Wenn Sie sich etwas um den Hals wickeln, würde das bedeuten, dass Sie sich bedroht fühlen und versuchen, Ihre empfindlichen Punkte zu schützen. Nein, so ist es besser. Wir überdecken die Male mit Grün, der Farbe des Handels, was Ihre Verhandlungspartner als Ausdruck Ihrer Wirtschaftskompetenz interpretieren werden. Bei einer Besprechung mit Industriellen wird Ihnen ein solches Zeichen von Stärke und Selbstvertrauen einigen Respekt verschaffen.«
Klingt gar nicht so schlecht. Ich wünschte nur, ich müsste mir dafür keine Nadeln in den Hals stechen lassen. Aber ich habe mir geschworen, alles zu tun, was nötig ist, damit diese Mission gelingt, und ich kann jetzt keinen Rückzieher machen. Es gibt nur einen letzten kleinen Einwand, auch wenn ich mich bereits mit dem Unvermeidlichen abgefunden habe.
»Aber du musst meine Haut nicht erst mit dieser Säure präparieren, oder?« Ich möchte meinen Hals nicht mehr verunstalten, als er es ohnehin schon ist.
Veliths Augen glitzern im morgendlichen Licht. »Nein, Sirantha. Im Gegensatz zu unserem Chitin wird Ihre Haut die Farbe auch so aufnehmen.«
»Und wie soll das Ganze aussehen?«
Velith legt seine Ausrüstung beiseite und geht hinüber zum Terminal. Constance sieht stumm zu. Seine Finger fliegen über die Tastatur, und ein betörend schönes Muster erscheint auf dem Schirm. Sieht ein bisschen aus wie eine kunstvoll gravierte, grün angelaufene Kupferplatte mit einer abstrakten Darstellung von Blättern und Ranken.
»Das sieht toll aus. Wer hat es entworfen?« Eine spontane Frage, weil ich aufrichtig beeindruckt bin. Noch beeindruckter bin ich, als ich Vels Antwort höre.
»Ich«, sagt er. Er blickt eine Weile auf den Schirm, als würde er über etwas nachdenken, dann fügt er hinzu: »Ich war nicht immer Kopfgeldjäger. Ich habe viele Leben gelebt in all den Jahren. Bei den meisten Wesen ist das so.«
Da ist was Wahres dran. Ich denke an Mairs Tagebuch und frage mich, wo sie geboren wurde und wie sie wohl als junge Frau war. Was hat sie von ihrer Heimat ausgerechnet nach Lachion verschlagen? Warum ist sie geblieben, nachdem sie gemerkt hat, dass es wohl doch nicht so einfach werden würde, wie sie sich vielleicht erhofft hatte? Nichts im Leben läuft so, wie wir es erwarten.
Melancholie steigt in mir auf, grau wie die Flügel einer Taube. Ich befühle meinen Hals und stelle mir vor, wie Veliths Muster darauf aussehen wird. Seltsamerweise macht mir der Gedanke gar nichts mehr aus. Die Idee ist absolut richtig, und wir werden diesen kleinen Rückschlag zu unserem Vorteil nutzen. Ich werde bei den Verhandlungen sogar noch besser dastehen.
»Legen wir los«, sage ich leise. »Bevor uns das Licht davoneilt.«
Erst als ich den Satz zu Ende gesprochen habe, fällt mir meine seltsame Wortwahl auf. Ich wollte nur sagen, dass wir uns beeilen sollten. Was, zum Teufel, stellt dieser Chip mit meinem Gehirn an? Offensichtlich verändert er die Art, wie ich mich ausdrücke. Hoffentlich nicht auch noch Schlimmeres. Ich habe mich Vel blind anvertraut, als er ihn implantiert hat, genauso wie ich es jetzt tue.
»Legen Sie sich hin. Ich habe ein mildes Oberflächen-Anästhetikum unter die Farbe gemischt. Sie werden nicht das Geringste spüren.«
Ich schließe die Augen und gebe mich voll und ganz in seine Hände.
20
Bei der Besprechung fühle ich mich wie eine Königin, auch wenn ich die Krone nicht auf dem Kopf trage, sondern an meinem Hals.
Als ich den Saal betrete, erhebt sich sofort Gemurmel. Ich wünschte, ich könnte ihre Körpersprache besser lesen, tröste mich aber damit, dass kein Mensch besser darin ist als ich. Wenigstens in dieser Hinsicht bin ich die erste Wahl für diese Mission.
»Ein kühner Schritt«, höre ich jemanden sagen.
»Sie ist eine gerissene Strategin«, fügt ein anderer
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