Mondherz
Kerl hinüber, der immer noch an der Tür lauerte. »Doch Ihr habt recht, Ihr seid wie er. Ein Geschöpf, das zwei Wesen vereint und stets den Ruf des Mondes spürt. Ihr seid nun stärker als jeder Mensch und habt die Instinkte eines wilden Tieres.«
»Das kann nicht sein.« Sie steckte inmitten eines Alptraums, aus dem sie keinen Ausweg fand. »Gott würde mir das nicht antun.«
»Nicht Gott, sondern Miklos. Er hat Euch in der Kapelle gebissen. Damit wurde sein Blut zu Eurem.«
»Nein«, flüsterte sie. Unwillkürlich griff sie zu dem Wundmal an ihrer Schulter. Er konnte nicht die Wahrheit sprechen. Es gab keine Werwölfe. Und doch wusste sie nichts, um sich gegen seine Worte zu wehren. Bilder von Wölfen fluteten vor ihrem inneren Auge vorbei, pelzige Körper mit Schnauzen und glühendem Blick. Und wieder begann sich die Kreatur in ihrem Geist zu regen, wild und voller Vorfreude.
»Nein«, stöhnte sie wieder, als sie erkannte, dass Gábors Worte wahr sein konnten. Voller Grauen sah sie ihn an. »Warum habt Ihr das zugelassen? Warum habt Ihr mich am Leben gelassen?«
Er erwiderte ihren Blick, sein Gesicht eine unbewegte Maske. »Ihr solltet dankbar sein.«
Dankbar? Nichts könnte ihr ferner liegen. Sie sprang auf. »Ihr seid böse!«, schrie sie in seine starre, kalte Miene. »Mir graut es vor Euch und Euren teuflischen Bestien. Tötet mich, tötet mich gleich, bevor ich es selbst tun muss!«
»Ich hätte Euch für klüger gehalten.« Er schüttelte den Kopf. »Miklos, bring sie zurück in ihre Kammer.«
Der narbige Kerl trat aus dem Schatten und packte Veronika an den Schultern.
»Nein!«, schrie sie und versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien. Tränen verschleierten ihre Sicht. Doch all ihr Kämpfen half nichts. Die Hände des Narbigen umfassten ihre Schultern so fest wie ein Schraubstock, während er sie in den finsteren Gang schob. Als sie sich fallen ließ, hob er sie einfach hoch und schleppte sie wortlos weiter. Sie schrie und schluchzte, als er sie in das karge Zimmer stieß. Mit einem Donnern fiel die Tür hinter ihr zu, und sie warf sich dagegen, trommelte mit den Fäusten gegen das Holz, bis ihre Fingerknöchel aufrissen. Irgendwann kroch sie zum Strohsack hinüber. Sie krümmte sich zusammen und weinte, das Gesicht fest in das grobe Leinen gedrückt, um das gefährliche Mondlicht nicht sehen zu müssen.
Die Nacht und der folgende Tag verstrichen in quälender Langsamkeit. Veronika wechselte ab zwischen Schlafen und Nachdenken, nur manchmal unterbrochen von Miklos, der ihr etwas zu essen brachte. Fragen beantwortete er ihr keine, und niemand reagierte, als sie erneut schreiend mit den wunden Fäusten gegen die Tür schlug.
Als die Sonne gegen Abend ihre Kraft verlor, war Veronika erfüllt von düsteren Grübeleien. Konnte sie wirklich eine Werwölfin sein, ein Ungeheuer aus alten Legenden? Würde sie sich wieder verwandeln, und wenn ja, wann würde es so weit sein? Würde ihre Seele nun der ewigen Verdammnis anheimfallen? Sie konnte es nicht glauben, denn sie ertrug es nicht. Mit beiden Händen hielt sie ihren Kopf fest, damit er nicht unter dem Ansturm des Undenkbaren zerbrach. War sie nicht immer noch Veronika? Eine gottesfürchtige Frau, deren Leib nichts von der Gestalt und Kraft einer Bestie ahnen ließ? Sie presste die Lippen zusammen. Eine Frau, deren Onkel sich mit Priestermördern und Teufelsgesellen eingelassen hatte. Womöglich hatte er sie selbst deren Händen übergeben.
Sie schluckte mit trockenem Mund. Dieser Gábor hatte die Bestie, die in dem narbigen Kerl steckte, auf Pater Anton gehetzt. Und jetzt hatte er sie in seiner Gewalt. Dabei war seine Miene stets gelassen und ruhig, und das bereitete ihr am meisten Furcht. Sie konnte sich nicht vorstellen, was in seinem Kopf vorging. Was würde er mit ihr tun? Und konnte sie ihm entkommen? Er war jung, mochte vielleicht fünfundzwanzig Jahre zählen, und doch schien er bereits überreif an Erfahrung zu sein. Klug war er sicherlich, und irgendetwas hatte ihn gegenüber seinen Mitmenschen kälter werden lassen als Eis. Sie rief sich sein kühnes Gesicht ins Gedächtnis, und erneut erinnerte es sie an das Bildnis des Todesengels mit dem Schwert, das sie aus der Kirche ihrer Kindheit kannte. Kaum jemals hatte sie einen so schönen Mann gesehen wie ihn. Doch seine Augen waren so schwarz wie seine Seele, die er an den Teufel verkauft haben musste.
Ihr Blick fiel durch die Fensterluke auf den Hof hinaus. Sie erstarrte. Die Luft
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