Mondherz
neue Pflichten hinderten sie daran. Michael hatte sie tatsächlich offiziell zur Hausherrin während seiner Abwesenheit ernannt. Plötzlich war sie für Mägde, Köchinnen und Wäscherinnen, außerdem für Hausknechte, Wachmänner, Pferdeknechte, einen Verwalter und einen Kaplan zuständig. Ihre Aufgabe war es, das Hausbuch zu führen, Besucher zu empfangen und dafür zu sorgen, dass alles seinen geordneten Gang ging. Vom Verwalter ließ sie sich regelmäßig Bericht erstatten, und sie las sich auch selbst in die Rechnungsbücher ein. Das Wissen, das Gábor ihr damals in Belgrad über Haushaltspolitik vermittelt hatte, war ihr dabei eine wertvolle Hilfe. Die Gelehrigste unter den weiblichen Bediensteten diente ihr als Edelmagd. Tuchhändler und Schneider standen bald vor ihrer Tür, und sie war mehrere Tage damit beschäftigt, sich eine neue Garderobe zusammenzustellen.
Das alles sorgte natürlich dafür, dass die Bediensteten über sie munkelten. War sie Michaels Geliebte? Oder seine uneheliche Tochter? Doch die Gerüchte waren ihr egal, solange sie so weit von der Wahrheit entfernt waren.
Manchmal kam Miklos vorbei, und sie freute sich jedes Mal über seinen Besuch. An einem Abend nahm sie ihn mit nach Pest hinüber. Sie besuchten die Roma, und als der Mond hinter den Zelten aufging, verabschiedeten sie sich. Auf einer abgeschiedenen Lichtung verwandelten sie sich und gingen zusammen auf die Jagd. Wie lange war es her, dass Veronikas Wölfin mit einem der ihren durch die Wälder laufen konnte! Sie genoss jeden Augenblick davon, und als sich der Wolf mit dem hellen Fell und der vernarbten Schnauze, dessen Gestalt ihrer Wölfin ähnelte, als wären sie tatsächlich Geschwister, wieder in den Menschen Miklos verwandelte, spürte sie tiefes Bedauern. Sie würde ihn vermissen. Denn sobald Drăculea tot war, würde sie mit den Roma wieder abreisen, das hatte sie für sich bereits beschlossen. In Buda, in solch gefährlicher Nähe zu Gábor und dem König, war kein Platz für sie.
Solana besuchte sie mehrmals in Michaels Stadthaus, und die Wachmänner wurden von Veronika angewiesen, sie trotz ihrer fremdartigen Erscheinung jederzeit einzulassen.
Doch acht Tage vergingen, bis sie Nachricht von dem Mann bekam, dessen Besuch sie zugleich erhoffte und fürchtete. Beinah hätte sie Gábors Boten mit einer Abfuhr wieder weggejagt, nur um ihm zu zeigen, dass sie ihm noch längst nicht verziehen hatte. Doch das wäre kindisch gewesen, das wusste sie selbst. Michaels Verbot, Gábor ins Haus zu lassen, konnte sie kaum ernst nehmen, denn das Haus gehörte immer noch dem König. Und so schickte sie den Boten mit der Nachricht zurück, dass sie Gábor empfangen würde, und bereitete sich auf den Besuch vor. Sie trieb die Köchinnen zu neuen Höchstleistungen. Sie wollte Gábor und Miklos zeigen, dass sie als Hausherrin ihr Handwerk verstand. Außerdem zog sie eines der beiden neuen Kleider an, die der Schneider bereits gebracht hatte. Es war aus schwerem Amsterdamer Tuch und glänzte violett wie ein Wintermorgen in den Bergen. Der Halsausschnitt war mit golddurchwirkter Stickerei verziert. Dazu legte sie etwas von dem Schmuck an, den Michael ihr zur freien Verfügung gestellt hatte. Die zierliche Kette mit einem goldenen gehämmerten Kreuz, das mit Perlen belegt war, stammte aus dem Familienschmuck der Szilagyis. Ihr Haar ließ sie von ihrer Edelmagd so lange kämmen, bis es weich wie Daunen war.
Sie war ein hilfloses Opfer gewesen, eine gelehrige Schülerin, eine stolze Zigeunerin und eine kämpfende Wölfin – und heute war sie eine adelige Hausherrin. Niemand musste wissen, dass es ihr diesmal so vorkam, als spiele sie nur eine Rolle.
Gábor und Miklos kamen, als es Abend wurde. Der weiße Putz des herrschaftlichen Stadthauses fing die letzten Sonnenstrahlen ein und reflektierte sie. Ein paar Schritte vor dem Tor blieb Gábor stehen und holte tief Luft. Am Torbogen lehnte einer von Michaels Werwölfen. Feindselig musterte er die beiden Gäste. Gábor erwiderte den Blick mit hochgezogenen Augenbrauen. Der Mann musste wissen, dass sie eingeladen waren. Also trat Gábor so nah an ihn heran, dass ihm seine Ausdünstungen in die Nase stiegen. Abneigung roch er, aber auch Unsicherheit. Er zog die Oberlippe hoch und knurrte leise. Selbst wenn der Mann zu dumm war, es selbst zu erkennen, sein Wolf würde wissen, dass er einen dominanteren Werwolf nicht herausfordern sollte. Der Mann wich zurück. Scharf stieg der Geruch seiner
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