Mondherz
Furcht auf. Gábor passierte ihn zufrieden, und Miklos folgte ihm. Jetzt waren sie jedoch auf fremdem Terrain. Achtsam sah er sich um. Er hatte keine Ahnung, wie Veronika ihn empfangen würde. Es war beinahe ein Jahr her, dass sie sich zuletzt gesehen hatten. Vielleicht war ihre Wut inzwischen verraucht, so wie seine Verzweiflung einer bohrenden Traurigkeit gewichen war.
Eine Edelmagd begrüßte sie. Sie führte sie nicht in den großen Saal, sondern nach oben in die privaten Gemächer. Lautlos betraten sie den Raum. Er war erfüllt von warmem Kerzenlicht und Veronikas Duft. Unwillkürlich atmete Gábor flacher.
Sie stand am Kamin, den Rücken ihnen zugewandt. Als Erstes sah er ihr Haar. Offen fiel es über ihre Schultern und glänzte wie Gold. Sie hatte es während ihrer Reisen wachsen lassen, die welligen Spitzen berührten fast ihre Hüften. Dann drehte sie sich um. Sie blickte angespannt, er sah, wie sie ihre Lippen fest aufeinanderpresste. Als Nächstes bemerkte er, dass ihre Haut leicht gebräunt war, was ihr gut stand. Ihr Gesicht war schmaler geworden, und ihre Wangenknochen traten stärker hervor. Obwohl es keinen Zweifel an ihrer Jugend gab, sah er die neue Härte sofort. Er stand keinem Mädchen mehr gegenüber, sondern einer Frau. Das Feuer in seinem Blut loderte stärker als jemals zuvor auf, als er vortrat, um sie mit einer Verbeugung zu begrüßen.
Sie lächelte verkrampft. »So sehen wir uns also wieder.« Ihre Stimme klang rauh vor unterdrückten Gefühlen. »Setzt euch. Ich hoffe, ihr habt Hunger mitgebracht.«
Endlich trat auch Miklos vor. Er war ebenso angespannt wie sie beide, sah Gábor, und es tat ihm leid für ihn. Doch für den Moment war er froh, dass Miklos hier war. Er war eine Verbindung zwischen ihnen, der Freund, der zwischen allen Stühlen saß.
»Wie ist es dir ergangen, Veronika?«, fragte Gábor, während er sich niederließ.
»Gut so weit. Miklos hat dir sicher einiges erzählt.« Sie spielte mit dem Schmuckstück, das um ihren Hals hing, und erst in diesem Moment erkannte Gábor es. Sein Herz setzte für einen Moment aus. Es war Michaels Kruzifix. Der Werwolf hatte es jahrelang um den Hals getragen, ehe er der Kette überdrüssig geworden war. Was mochte es bedeuten, dass er es Veronika gegeben hatte? Er musterte sie genauer. Das violette Kleid, nie zuvor hatte er sie eine solch geheimnisvolle Farbe tragen sehen. War es der Stolz, den sie ausstrahlte, oder die bebenden, leicht geöffneten Lippen?
Die Eifersucht traf ihn wie ein Giftpfeil. Wenn sie inzwischen Michaels Geschöpf war, dann wüsste er nicht, wie er sich daran hindern sollte, die beiden umzubringen.
Nein.
Er zwang sich zur Ruhe. Das waren nur Hirngespinste.
Veronika starrte ihn immer noch an. In ihren taubengrauen Augen lag Verwirrung.
Miklos rettete die Situation. »Erzähl, wie du den Haushalt hier organisierst«, forderte er sie auf. »Es ist erstaunlich. Als Zigeunerin kamst du hier an, und eine Woche später bist du wieder eine adelige Dame und noch dazu die Herrin dieses Hauses.«
Veronika gluckste. »Miklos, du übertreibst.«
Doch ohne jede Scheu griff sie nach einer Glocke, klingelte damit und rief so die Bediensteten. Im Gänsemarsch kamen sie herein und brachten Getränke und Speisen. Wahrlich, wer sollte sie sonst sein, als die Herrin des Hauses?
Gábor riss seinen Blick von ihr los und sah auf die Speisen. Zuerst gab es gebratene Forellen aus der Donau, die auf silbernem Tafelgeschirr serviert wurden. Er runzelte überrascht die Stirn. »Wo hast du dieses Geschirr her?«, fragte er. »Ich dachte, die Hunyadis hätten letztes Jahr all ihr Gut zu Geld gemacht und in die Truppen investiert. Und den Rest hat sich der König nach Laszlos Gefangenschaft einverleibt.«
Veronika hob lächelnd die Schultern. »Es ist doch einiges gerettet worden. Die braven Köchinnen vergruben den silbernen Hausrat im Keller. Vor wenigen Tagen erst haben sie mir davon erzählt.« Sie fuhr mit dem Finger über die Schneide ihres silbernen Messers. »Ich habe vor, diese Dinge der Gräfin Hunyadi zu schicken. Stimmt es, dass sie einen Landsitz vor der Stadt bezogen hat?«
Gábor nickte. »Sie zieht es vor, von ihrem Sohn getrennt zu wohnen. Keiner soll sagen, dass er ein Muttersöhnchen sei.«
Veronika nickte. »Eine kluge Frau«, sagte sie, doch ihre Stirn umwölkte sich.
Welche Erinnerungen sie wohl mit der Gräfin verband? Gábor räusperte sich, um ihre Aufmerksamkeit zurückzugewinnen. »Vielleicht solltest du
Weitere Kostenlose Bücher