Mondherz
Vermutlich glaubten sie an ein nächtliches Liebesabenteuer.
Draußen war außer drei weiteren Soldaten, die sich dösend auf ihre Lanzen stützten, niemand zu sehen. Paulo folgte ihr auf dem Fuß, als sie über den Platz eilte. Sie sog tief die Luft ein. Vor ihr breiteten sich dunkel die Häuser der Stadt aus, zogen sich die Hügel hinunter, wo sie das Wasser der Donau mehr ahnte als sah. Endlich roch sie den schwachen Duft des Werwolfs, und ohne zu zögern, wählte sie eine der Gassen aus. Ja, hier war er entlanggegangen. Sie beschleunigte ihren Schritt. Dort vorn sah sie seinen Schatten um eine Ecke biegen.
Paulo lief neben ihr. Wenn sein Tritt auch nicht so leise war wie ihrer, es mangelte ihm keineswegs an Geschick. Leichtfüßig glitt er über das schlammige Pflaster, sprang über Pfützen, in denen sich das Mondlicht spiegelte, ohne einen Blick auf die herrschaftlichen Häuser rechts und links von ihnen zu werfen.
An der Ecke wies sie ihn an zu warten. Sie drückte sich an die Hauswand und beugte sich vor, blickte in die abzweigende Gasse hinein. Ihr Herz schlug schneller. Da war er, vor der bemalten Fassade eines Händlerhauses, weniger als vier Mannlängen entfernt. Und er war nicht allein. Er flüsterte mit einem anderen Mann. Sie spitzte die Ohren, doch die Männer redeten in der weichen Sprache der Walachen, die sie nicht verstand. Sie winkte Paulo zu sich. »Wir müssen näher heran«, bedeutete sie ihm. Wie dumm, dass seine menschlichen Sinne so schwach waren. Erneut spähte sie ums Eck. Die Männer redeten nicht mehr, sondern hatten sich in Bewegung gesetzt.
Sie knirschte mit den Zähnen. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihnen mit ausreichend Sicherheitsabstand zu folgen. Also warteten sie noch eine Weile, dann hefteten sie sich an die Fersen der Fremden. Als sie die Stelle passierten, an der sich die Männer getroffen hatten, atmete Veronika tief ein. Sie war kaum überrascht, festzustellen, dass auch der zweite Mann wölfisches Blut in sich trug. Sie unterdrückte ein Knurren. Stattdessen verlangsamte sie ihren Schritt und bedeutete Paulo, sich hinter ihr zu halten.
Die Männer bogen erneut in eine Seitengasse, gingen nun bergab Richtung Donau. Es schien ihr, als wollten sie die Hauptwege meiden, um nicht von den Nachtwächtern aufgehalten zu werden. Die Häuser wurden kleiner, die Gassen enger und schmutziger. Vom Fluss stieg feuchter Nebel empor.
Sie umrundeten einen leeren Karren, dem ein Rad fehlte und der beinahe die ganze Gasse versperrte, als plötzlich eine Haustür aufflog und ein Mann mit einer Fackel in der Hand herausstolperte.
Veronika sah im Lichtschein sein tumbes, betrunkenes Gesicht. Mit einem überraschten Aufschrei taumelte er zurück, als er sie seinerseits entdeckte. Sie wollte sich rasch an ihm vorbeidrängen, doch er fasste sich schnell.
»Wohin, Weib?«, lallte er. Er wedelte grinsend mit seiner Fackel, um ihr den Durchgang zu verwehren. »Brauchst noch einen Mann zwischen den Schenkeln heut Nacht?«
»Lass mich vorbei«, fauchte sie. Oh, wie sie die Gier der Männer satthatte!
Er lachte. »Pah!«
Sie war um einiges kleiner als er, aber sie hatte gerade die richtige Größe, um ihm ihre Schulter in die Brust zu rammen. Mit einem dumpfen Keuchen setzte er sich auf den Hosenboden. Seine Fackel zischte im Schlamm.
»Rasch«, rief Veronika Paulo zu und setzte an dem Betrunkenen vorbei. Sie eilte weiter, während der Mann hinter ihr herkrakeelte.
Die Werwölfe waren verschwunden. Sie sog tief die Luft ein, doch ihr Duft war schwach und schien aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen.
Zu spät,
hämmerte ihr Herz. Das erste Mal verfluchte sie die verwinkelten Gassen von Buda, die ihr sonst eigentlich so gefielen. Die Männer konnten überall sein. Auf gut Glück bog sie um die nächste Ecke. Die beiden Werwölfe, einen Steinwurf entfernt, starrten sie an.
Sie prallte zurück. Der Rock bauschte um ihre Knöchel. Paulo stieß gegen sie. Sie packte ihn am Arm. »Zurück«, zischte sie, »weg hier!«
Sie hörte, wie die beiden Männer sich etwas zuriefen und sich in Bewegung setzten. Die Wut ihrer Wölfin schlug in Angst um.
Flieh!
Sie schubste Paulo nach vorn, und als er losrannte, folgte sie ihm dichtauf. Wie langsam er war! Langsamer zumindest als jeder Wolf. Gleich würden die Männer um die Ecke biegen und sie beide sehen. Gerade zur rechten Zeit erreichten sie eine Seitengasse.
Mit einem Satz war sie neben Paulo, packte ihn an der Hand und zog ihn
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