Mondherz
Reichstag auffordern würde, das Amt des Regenten niederzulegen. Und wenn sie auch jeden Grund hatte, wütend auf ihn zu sein, war er doch immer noch ein Werwolf aus ihrem Rudel.
Sie verstand selbst nicht, warum sie einen Moment zögerte, ehe sie an die Pforte klopfte. Es war die richtige Entscheidung, zu Michael zu gehen. Er würde der Sache mit Drăculeas Werwölfen auf den Grund gehen, schon allein, um damit wieder das Vertrauen seines königlichen Neffen zu gewinnen.
Ein Werwolf öffnete die Tür und musterte sie überrascht.
»Ich muss zu Michael«, verlangte sie, und ehe er etwas sagen konnte, schob sie sich an ihm vorbei, rannte in den Hinterhof und eilte dann zur Stiege, die zum Turm führte. Die Holzstufen knarrten unter ihren Füßen, als sie hinauflief.
»Wartet«, rief der Mann hinter ihr her, doch sie beachtete ihn nicht. Auch wenn sie wusste, dass Michael im Turmzimmer niemals gestört werden wollte, war ihr Anliegen doch wichtig genug, um ihr Eindringen dort zu rechtfertigen. Am oberen Ende der Stiege war es so finster, dass sie kaum die Stufen sah. Sie tastete sich vorwärts, bis sie über sich die Luke zum Turmzimmer fühlte. Zwei Mal klopfte sie dagegen, ehe Michael sie aufriss.
»Wer wagt es …«, brüllte er, dann weiteten sich seine Augen vor Überraschung. »Veronika.« Nur einen Moment später verengte er seine Augen wieder. »Was wollt Ihr?«
Sie sah keinen Sinn darin, groß herumzureden. »Zwei fremde Werwölfe sind in der Stadt«, stieß sie hervor. »Einer von ihnen war bei Drăculea. Ich bin ihnen gerade entwischt.«
»Was?« Michael trat einen Schritt zurück. Sein Gesicht spiegelte blanke Bestürzung. »Kommt herein«, sagte er. »Erzählt mir alles.«
Sie stieg durch die Luke hinauf und sah sich neugierig um. Die Wände waren nicht verputzt, und das grobe Mauerwerk verlieh dem Raum eine düstere Kargheit. Das Lichterspiel der Kerzen ließ unförmige Schatten über die Wände tanzen. Sie sah ein schmales Pult, zwei Hocker und einen einfachen Strohsack. Einige Truhen und ein Kohlebecken, dessen Asche wohl seit dem Winter nicht mehr beseitigt worden war, vervollständigten die Einrichtung.
Und unter dem Rauch der Kerzen und dem trockenen Staub, der den Truhen entstieg, in denen wohl Bücher lagerten, roch sie einen Geruch, den sie schon vergessen geglaubt hatte: Die herbe, etwas saure Duftnote des verstorbenen Grafen Hunyadi. Die unzähligen Stunden in diesem Raum schienen die Mauern mit seiner Gegenwart durchtränkt zu haben. Michael, der unter der niedrigen Decke nur gebeugt stehen konnte, schien ein Fremdkörper in diesem Zimmer zu sein.
Sie lehnte den Wein ab, den er ihr anbot, und begann von den Männern zu erzählen, der Verfolgung durch Buda, die sich bald in eine Flucht verwandelt hatte. Einzig ihr Handgemenge mit dem König erwähnte sie nicht.
Während sie redete, fiel ihr erstmals die verwunderliche Form des Zimmers auf. Es war halbrund, wie ein Kreis, der in der Mitte geteilt worden war. Nur an der gewölbten Seite befanden sich schmale Fensterluken, durch die das Licht der Kerzen von der Straße aus sichtbar war. Die andere Seite des Raums war aus hellerem Stein gemauert, und die Wand schien jünger als die anderen Mauern zu sein. Einzig eine massive Tür aus Eisen durchbrach die Steine. Dahinter musste sich die andere Hälfte des runden Turmzimmers verbergen. Außerdem sah sie noch eine Klappe, kaum hüfthoch, die an der gewölbten Seite nach draußen aufs Dach führte.
»Diese Werwölfe müssen einem fremden Rudel angehören«, schloss sie. »Allerdings können sie noch nicht lange dazugehören, sonst hätten sie niemals so schnell meine Spur verloren. Wer weiß, wo sie hinwollten.«
»Wer weiß«, wiederholte Michael. Er hatte die Fäuste geballt und ging im Raum auf und ab. Die Unruhe, die sein massiger Körper ausstrahlte, ließ auch Veronikas Wölfin nervös werden. Doch er hörte ihr zu, und er schien die Bedrohung durch die fremden Werwölfe ernst zu nehmen. Erleichterung durchströmte sie.
»Ich werde mich darum kümmern«, versprach Michael endlich. »Ihr solltet zurück zum König, ehe er Euch vermisst.«
»Ich gehe nicht zurück.« Sie hatte ihm das eigentlich nicht sagen wollen, doch nun war es zu spät. »Ich werde mit Paulo die Stadt verlassen.«
Er hielt in seinem Marsch inne. »Heißt das, Ihr seid schwanger?«, fragte er. Sie sah Erstaunen in seinem Blick, und noch etwas anderes, etwas Lauerndes, das ihr nicht gefiel.
»Nein«, sagte sie
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