Mondherz
hob den Blick. Sultan Mehmet war tatsächlich persönlich auf dem Schlachtfeld erschienen. Nie zuvor hatte er ihn gesehen, dessen war er sich sicher, doch es schien ihm, als kenne er ihn. Er fröstelte. Der Sultan war noch jung, Anfang zwanzig, doch sein schmales, dunkles Gesicht war bereits hart und erfahren. Seine schwarzen Augen blitzten voller Kampfgeist. Straußenfedern wippten auf seinem weißen Turban, und sein Schlachtross trug eine Schabracke aus goldenem Tuch. Seine persönliche Garde umringte ihn, eine Elitetruppe aus Janitscharen, doch er hatte sein Schwert gezückt, um selbst kämpfen zu können. Laut schrie er seinen Männern Kommandos zu, und hinter ihm ritt ein Imam, der ohne Unterlass die Suren des Propheten intonierte.
Kaum hatte ihn auch der Graf erblickt, schickte er seine besten Ritter los, um Mehmet anzugreifen. Auch sein jähzorniger Sohn gab seinem Pferd die Sporen, um sich persönlich auf den Sultan zu stürzen. Dessen Elitetruppen hatten inzwischen den Grafen entdeckt, und so entbrannte ein heftiger Kampf, in dem Gábor jeden Überblick über die Zahl seiner Gegner verlor. Wie viel Zeit vergangen war, vermochte er später nicht mehr zu sagen. Irgendwann ertönte ein triumphierender Ruf aus den vorderen Reihen. Es war Laszlo.
»Der Sultan ist verletzt! Der Sultan ist verletzt!«
Tatsächlich war es ein paar Rittern gelungen, bis zum innersten Kern von Mehmets Trupp vorzudringen, und einer von ihnen hatte ihm sein Schwert ins Bein gestoßen. Sofort bildeten die Leibwächter des Sultans eine undurchdringliche Wand, vor der die Ritter zurückweichen mussten, und sie sahen nur noch, wie der verletzte Körper des obersten Türken davongetragen wurde.
Damit war die Kraft der Türken gebrochen. Von vorne drangen die Christen aus Belgrad mit wilder Entschlossenheit auf sie ein, und von den Seiten die Kämpfer, die zu Tausenden aus Semlin über den Fluss kamen. Wie ein Geschwür wuchs die Angst in ihren Gesichtern, und immer weiter wichen sie vor den Angreifern zurück, bis die Belgrader Festung nur noch in der Ferne zu sehen war. Sie gaben auf, merkte Gábor. Endlich spürte er, wie die Wut der Wölfe verglomm und auch seine Gedanken klarer wurden. Die Erleichterung ließ ihn tief durchatmen. Nur noch eine schwache Spur ihres Geruchs zog durchs Lager. Sie hatten sich zurückgezogen, ihre Wut war befriedigt und ihre Aufgabe, das türkische Heer zu zerstreuen, war getan. Die Verteidiger jubelten, als sich der Rückzug der Türken in eine heillose Flucht verwandelte.
»Verfolgt sie«, lautete Hunyadis Befehl, der den Feinden keine Pause gönnen mochte, um sich wieder zu sammeln. »Vertreiben wir sie endgültig von unserem Land!«
Sie kämpften weiter und weiter, verhinderten jeden Versuch der Türken, sich noch einmal neu zu formieren. Irgendwann setzte die Abenddämmerung ein. Gábor war erschöpft, doch sein Herz schlug freudig in der Gewissheit, dass die Stadt die Belagerung überstanden hatte. Aus der Meuterei von Bauern war eine siegreiche Verteidigungsschlacht geworden. Jetzt würden nur noch die Reitertruppen aus Semlin die Türken weiter verfolgen, bis sie sicher sein konnten, dass sie nicht so schnell zurückkehren würden.
Graf Hunyadi sah ihnen nach. Er hatte sich entschieden, die Semliner Reiter nicht zu begleiten. Gábor spürte, wie schwach sein Herr war. Der lange Tag hatte ihn seine ganze Kraft gekostet. Besorgt lenkte er sein Pferd an die Seite des Grafen. Er kam gerade rechtzeitig, um Hunyadi zu stützen, ehe dieser vom Sattel kippte.
»Wasser«, ächzte er.
Schnell hoben ihn seine Männer vom Pferd und betteten ihn auf eine Decke, wo sie ihm die Rüstung abnahmen. Er war schweißüberströmt und zitterte vom Fieber. Gábor wurde kalt vor Sorge, als er unter dem Leinenhemd dunkle Verfärbungen bemerkte. Er riss die Kleidung auf und blickte auf zahlreiche rote und schwarze Pusteln, die sich über den Oberkörper des Grafen wie ein Schwelbrand ausgebreitet hatten. Neben ihm stöhnte einer der Kommandeure entsetzt.
»Die Pestilenz«, keuchte er und wich zurück.
Die Augen des Grafen flackerten, als er die Hand hob und auf Gábors Arm legte. »Ich habe die eine Schlacht gewonnen, um mich gleich der nächsten zu stellen«, murmelte er. »Bringt mich nach Semlin.«
Im dunklen Hausflur des Gutshauses in Semlin drängten sich die Menschen. Ein paar von Graf Hunyadis Kommandeuren waren darunter, zwei Priester, die Gebete murmelten, und Würdenträger der Stadt Belgrad.
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