Mondkuss
dass sie nicht alleine waren. Doch der Trubel um sie herum riss sie alsbald aus ihrer kleinen Welt. Als Rafael sich umblickte, leuchteten seine Augen auf. „Leonard und Helena sind da. Prinzessin, in ein paar Minuten werde ich dir meine besten Freunde vorstellen.“ Marleen wandte sich um, und ihre Augen weiteten sich vor spontaner Bewunderung. Helena, die an der Seite von Leonard, einem hochgewachsenen, hinreißend attraktiven Mann, auf sie zukam, war schlicht eine Offenbarung. Ihr fiel kein treffenderes Wort für sie ein. Langes honigfarbenes Haar fiel ihr weit über die Schultern. Sie trug ein langes rauchgraues Kleid, farblich passende Sandaletten und eine transparente Stola. Helena war nicht im klassischen Sinne schön zu nennen, dazu war ihr Gesicht zu herzförmig und die Wangenknochen zu wenig ausgeprägt. Aber sie hatte das gewisse Etwas. Leuchtete von innen. War von einer Aura umgeben, die anzog … mit Charisma und Sinnlichkeit. Marleen blickte zu den anderen Gästen, um zu sehen, ob auch sie so hingerissen waren wie sie. Aber niemand schien besondere Notiz von ihr zu nehmen. Sie vermochte nicht zu sagen, ob ihrer Faszination die Tatsache zugrunde lag, dass Helena die Künstlerin war, die ihr Herzensbild „Todsünde“ gemalt hatte. Sie spürte lediglich, dass sie ihr hingerissen entgegensah. Dieser Umstand verwirrte sie, stimmte sie nachdenklich. Nie zuvor hatte eine Frau eine derartige Wirkung auf sie gehabt. Und sie war schon bedeutend attraktiveren Frauen als Helena begegnet. Selbst Leonards elegante Erscheinung verblasste – zumindest aus der Sicht Marleens – neben der Erscheinung seiner Begleiterin. Die Blicke der anwesenden Frauen folgten Leonard. Verschlangen ihn förmlich und vollkommen offensichtlich. Sie sah dem auffallenden Paar interessiert entgegen. Leonard war – rein vom Typ her – eine markantere Ausgabe von Rafael. Größer, männlicher, kantiger, gelassener, gefährlicher. Sie konnte die Frauen verstehen, die sich den Hals nach ihm verrenkten und sich über die auffällig geschminkten Lippen leckten. Rafael, Helena und Leonard. Drei sinnliche Menschen und außerdem die besten Freunde. Geballte Ladung Sex und Leidenschaft. Mir wird heiß! Sie fächerte sich mit der Hand Luft zu und schämte sich für ihre Gedanken und Gefühle, denn sie passten nicht in ihr Leben, zu der Person, die sie eigentlich war. Was ist mit mir passiert? Hat Rafael einen Zauberbann über mich geworfen, der die alte Marleen verjagt und eine neue, wollüstige Person auferstehen lassen? Sie beobachtete, wie Rafael und Leonard sich mit Handschlag begrüßten. Die Hand, die Helena ihr herzlich reichte, hätte sie fast übersehen, so intensiv war sie mit den ihr so fremden Gefühlen beschäftigt. „Freut mich, dich kennenzulernen. Ich bin Helena.“ „Marleen.“ Leichte Röte stieg ihr in die Wangen, als sie die Hand ergriff und den Druck erwiderte. Ehe sie sich versah, lag ihre Hand in der von Leonard, während Rafael und Helena sich freundschaftlich umarmten. Bald darauf standen sie zu viert an einem der Stehtische, Leonard organisierte eine Flasche Sekt, und schon waren sie mitten in einer netten Plauderei. „Marleen ist übrigens eine große Bewunderin deiner Kunst“, wandte sich Rafael an Helena. „Sie hat dein Bild „Todsünde“ erstanden – und zwar genau an dem Tag, an dem wir uns zum ersten Mal begegnet sind.“ Sein intensiver Blick ging Marleen unter die Haut. Sie schloss angenehm berührt die Augen, als Rafael ihr einen Kuss auf die Schläfen hauchte. „Stimmt. Ich muss dazu sagen, dass es kein Spontankauf war. Wochenlang bin ich um das Bild herumgeschlichen. Täglich. Konnte mich nicht zum Kauf entschließen, weil es farblich so gar nicht in meine Wohnung passte. Tja, und an dem Tag konnte ich dann doch nicht mehr widerstehen.“ „Freut mich.“ Helenas Augen leuchteten auf. „Ich verschmelze mit den Farben, den Figuren, die ich male. Bin eins mit ihnen. Und wenn ich ihnen Gestalt und Form gegeben habe, ich sie in die Welt entlasse, ist es jedes Mal ein kleiner Abschied. Ein Stich ins Herz. Umso mehr freut es mein Künstlerherz, wenn meine Werke zu Liebhaberstücken werden.“ „Wenn Helena malt, bin sogar ich abgeschrieben“, schmunzelte Leonard. „Und das hat wahrhaftig etwas zu bedeuten“, warf Rafael ein. „Das, was die beiden verbindet ist die wahre große Liebe. Selten zu finden und sehr, sehr kostbar.“ „Eine Liebe, die wir uns mühsam erarbeitet haben“, lachte Helena. An
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