Mondlaeufer
ins Leere, dann bückte sie sich, um die Trense aufzuheben. Ihre Finger zitterten so sehr, dass das Metall klirrte.
»Ich wollte nur … ich wollte ausreiten …«
»Mitten in der Nacht? Hast du überhaupt geschlafen?«
Achselzuckend wandte sie ihm den Rücken zu, während sie die Trense am Kopf der Stute festschnallte. Andry stützte sich mit den Ellbogen auf die halbhohe Tür der Box und runzelte die Stirn. Hollis liebte Pferde und ritt für ihr Leben gern – andernfalls hätte sie kaum eine passende Frau für den künftigen Herrn von Burg Radzyn abgegeben –, doch das hier war mehr als ungewöhnlich.
»Möchtest du etwas Gesellschaft?«, fragte er schließlich möglichst beiläufig.
Sie schüttelte wild den Kopf, wobei ihr die halb offenen blonden Zöpfe um die Schultern peitschten. Ihre Finger krallten sich in die schwarze Mähne der Stute, und ihr Körper begann zu zittern. Als Andry hörte, wie sich ein leises Schluchzen ihrer Kehle entrang, klappte ihm der Kiefer herunter. Er riss die Tür auf und ging zu ihr, um ihr ungeschickt über den Rücken zu streicheln. Wenn doch Maarken hier wäre, um sie zu trösten! Sicher weinte sie seinetwegen, sagte sich Andry.
Als sie aufgehört hatte zu schluchzen, sah sie ihn an und versuchte zu lächeln. »Tut mir leid. Normalerweise stell ich mich nicht so an.«
»Du brauchst keine Angst vor dem Rialla zu haben, weißt du«, sagte er und folgte damit seiner Vermutung, dass es etwas mit Maarken zu tun hatte. »Meine Eltern werden dich genauso lieben wie Maarken.«
Ihre Lider flatterten. Andry erkannte, dass sie überhaupt nicht an seinen Bruder gedacht hatte. Sie versuchte nicht einmal, ihre Reaktion zu verbergen, und das verwunderte ihn noch mehr.
»Du bist müde«, fuhr er fort und bot weitere Erklärungen für ihr Verhalten an. »Du hast überhaupt noch nicht geschlafen. Geh wieder hoch, Hollis.«
Sie nickte schwach. Andry nahm der Stute die Trense ab, hängte sie an einen Nagel und hob den Sattel wieder auf seinen Bock. Als er sich umdrehte, war Hollis fort.
Im Hof holte er sie ein und berührte ihren Arm. Sie schrie leise auf und wich ihm aus.
»He! Erschreck mich doch nicht so! Was machst du eigentlich um diese Zeit hier draußen?«
Es war, als wären die Minuten im Stall einfach nicht gewesen. Nichts in ihrem Gesicht oder ihren Augen verriet ihm, dass sie ihn nicht in diesem Augenblick zum ersten Mal in dieser Nacht sah. »Ich konnte nicht schlafen. Ich bin zur Bücherei gegangen, um an den Rollen weiterzuarbeiten, aber du hast den Schlüssel.«
»Er ist oben in meinem Zimmer.« Sie warf einen beinahe verzweifelten Blick zu den Ställen hinüber.
»Ich weiß«, sagte er. Ihr Verhalten war für ihn ein einziges Rätsel. »Ich gehe einfach wieder ins Bett und tue so, als wenn ich schlafen könnte.«
»Vielleicht hilft ja ein Buch«, schlug sie vor und klang schon wieder mehr nach sich selbst. »Ich kenne ein paar, bei denen du garantiert nach den ersten zwei Seiten einschläfst.« Sie lachte, doch das klang so wild, dass er nicht einmal mehr beruhigt war, dass sie wenigstens ihren Humor wiedergefunden hatte. Sie war übermütig und ungebärdig wie ein ungezähmtes Füllen, gar nicht die kluge, praktische Hollis, die er bisher gekannt hatte.
Kleve schlich sich zu einem der Fenster und hoffte, dass Riyan genau das tat, was er ihm gesagt hatte. Zum Kuckuck mit dem Jungen! Und zum Kuckuck mit Andrade, die Riyan etwas befohlen hatte, wozu Kleve durchaus allein in der Lage war. Er musste allerdings gestehen, dass der junge Mann heute Nacht nützlich gewesen war. Ohne Riyan hätte er Kiele nie gefunden.
Auf der Suche nach einem leicht geöffneten Fenster, durch das er hören konnte, was drinnen gesprochen wurde, schlüpfte er um die Hausecke – und bekam fast einen Fensterflügel ins Gesicht, der plötzlich weit aufgerissen wurde. Er presste sich an die Wand und biss sich auf die Lippen, um einen Überraschungslaut zu unterdrücken. Bis die Vorhänge wieder zufielen und das Licht im Haus zurückhielten, stand er wie festgefroren.
»Hier ist es wie in einem Backofen, verdammt noch mal! Heißer als im Hochsommer in der Wüste!«, knurrte eine Männerstimme. »Wenn ich diese verdammten Kleider anprobieren soll, dann solltet Ihr Euch wenigstens die Mühe sparen können, hinterher meinen Schweiß wieder auszuwaschen.«
»Ihr habt überhaupt kein Gefühl für Vorsicht! Ich bin sicher, dass mir niemand gefolgt ist, aber wenn Ihr glaubt, dass wir auf jeden Fall
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