Mondlaeufer
Rest besorgen, wenn ich zuließe, dass Euch etwas zustößt. Bis jetzt wart Ihr ziemlich sicher, Ihr habt schließlich noch nichts Wichtiges gesehen oder gehört. Aber wenn es wahr ist, was ich vermute, dann ist es hier heute Nacht viel gefährlicher, als Ihr glaubt.«
»Was habt Ihr denn herausgefunden?«
»Einiges«, wich Kleve aus. »Ich hoffe, dass ich es ab heute sicher weiß. Ihr habt mir übrigens einen guten Dienst erwiesen, dadurch dass ich Euch gefolgt bin, habe ich Kiele gefunden. Die letzten paar Male ist sie mir immer entwischt.« Er kam auf die Füße. »Ich werde mal lauschen gehen. Ihr könnt mir am besten helfen, wenn Ihr in die Stadt zurückkehrt. In der Neuen Hochstraße wohnt eine Goldschmiedin. Sie heißt Ulricca. Morgen früh treffen wir uns dort. Also los.«
Riyan wollte widersprechen. »Kleve …«
»Vielleicht seid Ihr Lichtläufer und schon fast ein Ritter, aber das hier ist nichts für Euch. Muss ich erst meine Ringe zählen und Euch auf meinen Rang hinweisen?«
»Nein, aber …«
»Also tut, was ich Euch sage. Macht Euch lieber gleich auf den Weg, Ihr habt weit zu laufen.« Mit einem freundlichen Knuff entschärfte Kleve die Strenge seines Befehls. »Morgen erzähle ich Euch die ganze Geschichte.«
»Das solltet Ihr auch«, murmelte Riyan.
Andry konnte nicht schlafen. Fast wäre er zu Hollis’ Zimmer gegangen, um sie um den Spruch zu bitten, den sie von Urivag gelernt hatte, doch eigentlich musste er sie jetzt wirklich schlafen lassen. Sie war in letzter Zeit immer leicht erschöpft, ob mit oder ohne Sejasts Hexengebräu. Kopfschüttelnd zog er sich an. Er war froh, dass er in einer aufgeklärten Familie aufgewachsen war, wo Hexen und Ähnliches nur in Ammenmärchen vorkamen.
Und dennoch. Er blieb auf der Treppe stehen, als ihm plötzlich ein Gedanke kam. Einige Sachen aus der Sternenrolle konnte man eindeutig als Hexerei betrachten. Schon der Titel war eindeutig: »Die Hexenkunst«. Wenn Sejast nun wirklich auf eine Nachfahrin vom Alten Volk gestoßen war? Andry wollte lieber glauben, dass der Junge eine weise Frau mit seltenem Heilkräuterwissen getroffen hatte und nicht eine Hexe vom alten Schlag. Doch irgendjemand hatte in jener Nacht zugesehen, als Meath die Schriftrollen abgeliefert hatte. Sie waren nicht über Sonne oder Monde belauscht worden, sondern über das dünne, schwache Sternenlicht. Andry lief ein Schauer über den Rücken. Er beschloss, aus Sejast mehr über seine Hexe herauszulocken.
Durch die stillen Säle der Burg ging er zum Bibliotheksflügel hinüber. Er war schon fast an der verschlossenen Tür zu der Kammer angelangt, in der die Schriftrollen aufbewahrt wurden, als ihm einfiel, dass Hollis ja den Schlüssel hatte. Also wurde nichts daraus, die Nacht mit beruhigendem Forschen zu verbringen, dachte Andry betrübt. Womit sollte er seine Rastlosigkeit denn dann wohl besänftigen? Ein kleiner Spaziergang durch die Gärten? Vielleicht konnte er in die Ställe gehen und sein Pferd besuchen. Seit er an den Schriften arbeitete, hatte er Maycenel sträflich vernachlässigt, und jetzt fühlte er sich deswegen schuldig. Sein Vater hatte ihm den jungen Hengst geschenkt, als er Prinz Davvis’ Knappe wurde, ein Ross für den Ritter, der Andry nie werden würde. Sorin hatte bei seiner Abreise an den Hof von Prinz Volog Maycenels Zwillingsbruder bekommen. Eine feine Sache: Zwillinge für Zwillinge. Doch Sorin hatte Joycenel so eingesetzt, wie es sein Vater beabsichtigt hatte, und würde dieses Jahr zum Ritter geschlagen werden. Plötzlich fragte sich Andry, ob Chay wohl schrecklich enttäuscht war, dass er nicht denselben Weg eingeschlagen hatte. Und ob sein Vater sich das jemals anmerken lassen würde.
Der Hof war leer, nur ein paar Katzen waren auf der Jagd. Andry nahm den Plattenweg zu den Ställen. Er erwartete nur die Geräusche dösender Pferde in ihren Boxen. Doch das Klirren von Zaumzeug ließ ihn plötzlich aufschrecken. Er folgte dem Geräusch zum anderen Ende des Gebäudes, wobei er lautlos über das frische Stroh huschte.
»Hollis!«, rief er unvermittelt, als er ihr langes, dunkelblondes Haar erkannte. »Was machst du denn hier?«
Sie fuhr herum und ließ die Trense fallen. Ein Sattel lag im Stroh neben der flinken, kleinen Stute, die sein Vater Andrade vor einigen Jahren geschenkt hatte. Trotz ihres hohen Alters wusste die Herrin der Schule der Göttin einen scharfen Ritt auf einem guten Pferd immer noch zu schätzen. Hollis starrte einen Augenblick
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