Mondlaeufer
ihn an Land zu ziehen!«
Mit einem geduldigen Seufzer sagte Rohan: »Und wenn schon. Es wäre die perfekte Gelegenheit für ihn gewesen, mich zu demütigen. Er hätte nur den anderen Prinzen im Rat zu erzählen brauchen, dass ich seinen Bedingungen zugestimmt habe, damit er Chiana ja nimmt. Es hätte dann wahrhaftig so ausgesehen, als hätte ich ihn darum angebettelt, um mir seine Unterstützung zu sichern.«
»Es hätte geklappt!«, schäumte sie.
»Es hätte nie geklappt. Hör zu, Sioned. Er wollte mich ausstechen und beweisen, dass er schlauer ist. Er wollte etwas haben, was er gegen mich ausspielen kann. Stattdessen habe ich ihn auf seinen Platz verwiesen und ihn wissen lassen, dass er mich nie übertrumpfen kann. Niemals. Hast du vergessen, dass er die Merida in seinem Prinzenreich und an seinem Hof leben lässt? Und dass die versucht haben, Pol zu töten? Glaubst du, die hätten das ohne Miyons Hilfe oder zumindest seine Duldung tun können?«
»Jetzt aber hast du einen offenen Feind. Ist das besser als vorgetäuschte Toleranz?«
»Ich habe ihn lieber als Feind, von dem jeder weiß, denn als angeblichen Freund, der meine wirklichen Verbündeten täuschen kann. Wenn er sich jetzt an die anderen Prinzen wendet, werden sie nie vergessen, dass er und ich Gegner sind, und zwei Mal überlegen, was er sagt. Aber abgesehen davon: Wünschst du dir wirklich Chiana an unserer Grenze, damit sie mit Miyon gegen uns intrigiert? Eine Frau, deren Name bereits ›Verrat‹ bedeutet? Ich konnte nichts anderes tun. Ich bedaure, dass es dir nicht gefällt, aber es war meine Entscheidung, nicht deine.«
Sie schwieg und schüttelte dann den Kopf. »Ich verstehe, warum du es getan hast, Rohan. Aber ich finde nicht gut, dass du mich benutzt hast. Und du weißt, dass es so war. Du hast mich und Tobin dafür arbeiten lassen, Miyon und Chiana dahin zu bringen, wo du sie haben wolltest.«
Es war Sioneds Idee gewesen, Chiana auf Miyon anzusetzen. Rohan hatte sie weder ermutigt noch gebremst; er hatte einfach genutzt, was sie von selbst getan hatte. Das war eine nette, kleine Nuance in der Sicht der Dinge, die sein Gewissen beschwichtigte, ihr aber nicht gefallen würde. Er war allerdings klug genug, dazu zu schweigen. Daher sagte er nur: »Du hast fast alles gelernt, was ein Prinz zum Regieren braucht. Aber du musst noch lernen, dass man hin und wieder Menschen benutzen muss.«
»Ich schätze, das ist eins von den Dingen, die ich von Andrade nie annehmen wollte«, sagte sie ruhig.
»Sie macht das wirklich perfekt und ohne Reue. Es ist nicht besonders nett und gewiss nicht edel oder heldenhaft. Der Unterschied zwischen Andrade und mir ist allerdings der, dass ich es manchmal hasse, die Dinge zu tun, die ich tun muss. So wie heute. Na ja, ich gebe zu, ich habe mich bei meinem ersten Rialla prächtig über Roelstra amüsiert. Es hat mir Spaß gemacht, die Leute auszutricksen. Und die waren zu blöd zu erkennen, dass ihr eigener Ehrgeiz sie dorthin führte, wo ich sie hinhaben wollte. Ich bedaure Miyon ganz und gar nicht, denn er musste lernen, sich mir zu beugen. Und was den Rest von ihnen angeht …«
Sioned lächelte etwas. »Lass mich raten. Du wünschst dir, sie würden sich nicht ganz so tief verbeugen.«
Er nickte. »Deshalb schätze ich Chale und Lleyn und Davvi. Sie verbeugen sich wie der Rest, aber sie wissen, weshalb. Die anderen – tun es einfach.« Bei einem Blick auf die Wasseruhr seufzte er. »Mehr als die halbe Nacht ist um. Und morgen wird ganz und gar kein erfreulicher Tag.«
»Rohan …« Sie stand neben seinem Stuhl, und er fuhr mit den Fingern sanft um ihren Bauch. »Lass mich dich in den Schlaf schicken, Liebster. Du brauchst es.« Als er lächelnd den Kopf schüttelte, fuhr sie fort: »Aber du bist erschöpft. Und ich auch«, gab sie freimütig zu. »Ich kann nicht schlafen, wenn du nicht schläfst. Nur dieses eine Mal, Rohan. Genieß deine Frau, und lass dich ein bisschen verzaubern.«
Nach einer kurzen Pause fragte er: »Du machst es doch sowieso, nicht wahr?«
»Tja …«
»Na gut. Ich hatte heute wohl genug. Und das Letzte, was mir noch fehlt, ist ein Streit mit meiner störrischen Hexe.«
»Nur zu«, meinte sie trocken, und er lachte.
Kurz darauf lagen sie unter einem leichten Seidenlaken und einer locker gewebten Wolldecke einander in den Armen. Sioned rollte sich an der Seite ihres Mannes zusammen. Ihr Gesicht war von dem schwachen Mondlicht beschienen, das durch die abgeschirmte Fensteröffnung
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