Mondlaeufer
hatte. Einen Augenblick lang war er in Versuchung. Doch der Barbar in ihm siegte und zog ein einziges Mal mit dem zivilisierten Prinzen an einem Strang. Sie in Feruche einzumauern und zu einem Tod im Leben zu verurteilen, war unendlich viel grausamer, als ihr wirklich ein Messer ins Herz zu stoßen. Grausamer und praktischer.
Nein, er würde sie nicht töten, und er konnte ihre Verbrechen auch nicht anprangern. Er würde damit leben müssen. So wie sie.
»Steht auf«, befahl er. Da es so aussah, als hätte sie nicht die Kraft dazu, packte er sie an den Ellenbogen und zerrte sie hoch. Sie schwankte, strich sich das Haar zurück und ging zum Fluss hinunter, um sich die Spuren ihrer Gefühle vom Gesicht abzuwaschen. Rohan sah unbewegt zu, doch er wünschte nur ihren Tod. Er verstand diesen Wunsch aber auch als Ausdruck seiner eigenen Scham, dass er sich so grauenvoll getäuscht hatte. War es wirklich das, was er nicht aushalten konnte? Dass er einen furchtbaren Fehler begangen hatte. Er wünschte, sich bei Sioned Rat holen zu können. Doch diesen Trost, dieses sichere Verständnis verbot er sich. Für immer.
Als Pandsala ihr Haar gerichtet und ihre Röcke glatt gestrichen hatte, ging Rohan ins Lager zurück. Er hörte ihre unsicheren Schritte hinter sich. Wo sie auch war, in welches Exil er sie auch verbannte, er wusste, dass er diese Schritte für den Rest seines Lebens hinter sich hören würde – Schritte, die über Leichen gingen.
Prinz Lleyn benötigte nicht nur seinen Stock, sondern stützte sich auch auf den starken Arm seines Sohnes, als er Rohans Pavillon betrat. Chadric half seinem Vater, Platz zu nehmen, und stellte sich mit bewusst unbewegtem Gesicht neben ihn. Aus Lleyns Miene war außerordentlich leicht zu lesen; aus ihr sprachen zugleich Verärgerung und Neugier.
»Also schön, hier bin ich. Nun sagt schon, was es ist, das keinen Aufschub duldet.«
Rohan stand vor dem alten Mann. »Vergebt mir, dass ich Euch hergerufen habe«, begann er ruhig.
»Ihr hättet es sicher nicht als Befehl des Hoheprinzen deklariert, wenn es nicht notwendig wäre. Sprecht schon, verdammt noch mal!«
»Ich möchte Euch um eine große Gunst bitten, Herr. Euch beide, Euch und Prinz Chadric.« Rohan zögerte und warf dann Sioned einen Blick zu. Ihr Kopf war gebeugt, die Hände fest in ihrem Schoß gefaltet und ihr Körper regungslos. Er hatte sein Versprechen gehalten und ihr nichts über Pandsala erzählt. Doch wie sie ihm deshalb zürnte!
Sein Blick kehrte zu Lleyn zurück, und er fuhr fort: »Firon braucht einen Prinzen, der mit seiner eigenen Prinzenlinie verwandt ist. Ich frage Euch nun, ob Ihr freundlicherweise Euren Enkelsohn, Prinz Laric, für diese Position in Erwägung ziehen würdet.«
Ganz leicht errötete Lleyns pergamentene Haut an den Wangenknochen. Er fixierte Rohan mit einem festen, fragenden Blick. Doch statt seiner fragte Chadric verwundert:
»Laric? Warum? Der Anspruch Eures Sohnes wiegt doch viel schwerer, da er sowohl durch Euch als auch durch Prinzessin Sioned begründet ist …«
»Sei still«, flüsterte Lleyn. Sein Blick versuchte jetzt Rohans Seele zu ergründen. Es dauerte sehr lange, bis er wieder sprach. Seine Stimme war wie das Knistern trockener Blätter. »Ich dachte, es wäre klar gewesen, dass Firon an Pol fällt. Es gibt etwas, weswegen Ihr Eure Meinung geändert habt. Etwas, das heute geschehen ist. Ich glaube zwar nicht, dass es die Abstimmung war, doch wenn Ihr sie als Grund angeben wollt, werde ich das akzeptieren.«
Rohan neigte den Kopf. »Danke, Herr.«
»Mit meinem Enkel als Prinz von Firon habt Ihr eine sechste, entscheidende Stimme zugunsten von Pol. Das verstehe ich. Ich werde Euch jedoch nicht fragen, warum das nicht schon früher vorgeschlagen wurde, wo es uns allen viel Ärger erspart hätte.«
Wieder nickte Rohan; es war fast eine Verbeugung.
»Aber habt Ihr Euch das auch gut überlegt? Ihr wisst, dass ich nichts anstrebe, das nicht auf meiner Insel liegt. Chadric wird nach meinem Tod meinen Platz einnehmen, und ihm wird sein ältester Sohn, Ludhil, folgen. Laric bekommt Sandeis, den Landsitz seiner Mutter, oder die Verwaltung der Häfen oder was er sonst möchte und kann. Wir mischen uns nicht in die Angelegenheiten des Kontinents, Rohan. Wir haben das nicht nötig. Es ist ein Grund, warum es uns so gut geht.«
»Ich verstehe, Herr. Aber es ist für meinen Sohn unmöglich, Firon oder einen Teil davon anzunehmen.«
Er hatte eine heftige Auseinandersetzung mit
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