Mondlaeufer
gelichtet, die Pol bedrohen könnten. Dass ihre Treue eine so furchtbare Form angenommen hatte, war der Preis dafür, dass er sie benutzt hatte und so blind gewesen war.
Aus Pandsalas dunklen Augen sprühte ein Hass, der sich nie gegen Rohan gerichtet hatte, auch jetzt nicht. Eigentlich hätte sie ihn hassen müssen, da er sie abgewiesen und Sioned gewählt hatte. Doch das tat sie nicht. Wie konnte sie den Mann hassen, dem sie das Leben, das sie führte, zu verdanken hatte, und für dessen Sohn sie sich so viele Jahre lang eingesetzt hatte? Nein, Rohan stand nicht auf der Liste derer, die sie hasste.
Ihr Vater schon, denn er hatte sie ins Exil in die Schule der Göttin geschickt. Sioned, der Rohans Körper und sein Herz gehörte. Ianthe, die seinen Sohn geboren hatte. Diese drei hasste sie. Doch Rohan erkannte noch etwas anderes aus ihren Augen. Sie hasste sie, weil er ihnen mehr von sich gegeben hatte als ihr. Ihr Hass beruhte auf Eifersucht. Eifersucht auf Roelstra, den Rohan bekämpft hatte, auf Sioned, die er liebte, auf Ianthe, die sein Kind getragen hatte. Sie hatten Anspruch auf ihn erhoben, was Pandsala nicht konnte.
Also hatte sie die Zukunft seines Sohnes für sich beansprucht. Sie hatte gemordet, um ihre Liebe zu zeigen, andere Leben vernichtet, um ihn sicher zu wissen. Sie hatte zum Großteil die Welt geformt, die Pol erben würde, eine Erbschaft aus Blut und Hass.
Roelstras Tochter.
Andrade hatte ihn damals, vor vielen Jahren, gewarnt, auch Tobin, Chay und Ostvel. Aber Rohan war sich so schlau vorgekommen. Er war sich seiner eigenen Macht so sicher gewesen, dass er nicht bedacht hatte, was sie mit der ihren anstellen konnte. Er hatte so gerne geglaubt, dass sie in der Prinzenmark mit aller Kraft nur zu Pols Bestem arbeiten würde.
Und das hatte sie getan. Mit ihren vielseitigen Fähigkeiten.
Aus panischer Angst, etwas zu sagen, das dieses schreckliche Gleichgewicht zwischen ihnen kippen könnte, sodass sie sich vielleicht gegen ihn und Pol stellen würde, brachte er kein Wort heraus. Sie hatte eine Macht über ihn gewonnen, die ihn bestürzte und zornig machte. Doch sie jetzt zu töten, dazu war er jetzt ebenso wenig fähig wie vor Jahren bei Ianthe in Feruche. Feigling, klagte er sich selber an, und auch seine Antwort darauf war: Ja.
Pandsalas leise Stimme drang auf ihn ein. »Seine Augen – sie könnten die meinen sein, wisst Ihr, der Form, wenn auch nicht der Farbe nach. Er hat etwas an sich, das nicht ihr gleicht, sondern mir. Ich habe es von Anfang an bemerkt. Er hätte unser Sohn sein sollen, Rohan, nicht ihrer! Sie verdient ihn nicht. Ich habe gesehen, mit welcher Liebe er sie ansieht – einer Liebe, die mir gebührt …«
»Sie …« Er brach ab, und wie ein Dolchstoß drang das Wissen in sein Herz: Sie weiß es nicht. Und plötzlich neigte sich die Waage: Diese eine Wahrheit wog schwerer als all ihre Lügen. Sie glaubte, dass Pol Sioneds Sohn sei. Sie wusste nichts von Ianthe. Und als sich seine Macht so stark und tödlich in ihm regte, wie Sioned ihm manchmal das Aufflammen von Lichtläufer-Macht beschrieben hatte, wusste er, dass er die Wahrheit so rücksichtslos benutzen würde, wie es Ianthe selbst getan hätte.
»Ich habe mir vorgestellt, dass er unser Sohn wäre«, fuhr Pandsala leise, fast träumerisch fort. »Wenn sie nicht in der Nähe ist, kann ich glauben, er wäre unser gemeinsamer Sohn. Keine echte Mutter könnte ihn mehr lieben und mehr für ihn erreichen wollen. Wenn Ihr meint, es sei schrecklich, was ich getan habe, dann bedenkt, wie sein Leben jetzt wäre, wenn ich nicht gehandelt hätte. All diese Rivalen aus den Ehen meiner Schwestern – ich habe ihm die meisten vom Hals geschafft, und ich bin froh darüber! Er wird Hoheprinz und Faradhi und damit der mächtigste Mann sein, der je gelebt hat! Bedenkt, Rohan, was ich aus Liebe für ihn getan habe. Dinge, die sie nie getan hätte!«
Pandsalas Augen leuchteten vor Begeisterung über das, was sie zu Gunsten von Pol getan hatte und was ihn später als Hoheprinz und Faradhi belasten würde. Das Gleichgewicht zwischen dem unbefleckten, stolzen Jungen auf der einen und dieser furchtbaren, bluttriefenden Frau auf der anderen Seite war plötzlich zerstört.
»Sioned hätte solche Dinge nie getan«, sagte Rohan beherrscht. »Ianthe allerdings schon.«
Pandsala starrte ihn verständnislos an.
»Eure Schwester! Pols Mutter!«, brüllte er und schüttelte sie dabei, bis ihr das lange Haar wirr ins Gesicht hing. »Glaubt Ihr
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