Mondlaeufer
im Moment beschützt werden muss. Er wird eine eigene Leibwache bekommen. Maarken wäre hervorragend dafür geeignet. Er kann gut mit dem Schwert und dem Messer umgehen, er ist ein erwachsener Mann und noch dazu ein Faradhi . Pol wird keinen Verdacht schöpfen und auch nicht aufbegehren, wenn sein Vetter über ihn wacht.«
Tobin sah lächelnd zu Chay auf. »So wie du damals über Rohan gewacht hast.«
»Auch diese Pflicht tritt Radzyn keinem anderen Lord der Wüste ab.«
Der künftige Herr von Radzyn war seiner Burg im Moment allerdings fern und in Gedanken sogar noch ferner. Maarken hatte die Ställe auf Isulkian verlassen. In der alten Sprache hieß das Tier ›Schneller Wind‹.
Chay hatte den Hengst nach den nomadisierenden Wüstenstämmen genannt, die auftauchten und verschwanden, wie es ihnen beliebte. Und immer wieder stahlen sie dabei einen Zuchthengst. Die Isulk’im behielten die Hengste, die sie, manchmal am helllichten Tage, entführten, nie lange und brachten sie in ausgezeichneter Verfassung zurück, sobald sie ihre Stuten gedeckt hatten. Er hätte ihnen gern einen preisgekrönten Hengst überlassen, nur um seine Nerven zu schonen, weil er sich ständig fragen musste, wann seine Pferde wohl verschwinden würden. Doch die Isulk’im wiesen solche Angebote stolz zurück. Sie fanden es viel amüsanter, sich Chays Zuchthengste auf ihre Weise auszuborgen.
Der Hengst machte seinem Namen alle Ehre, als Maarken ihn auf die Straße lenkte, die vom Schloss fort nach Süden führte. Schließlich zügelte ihn der junge Mann und lachte, als das Tier ärgerlich den Kopf auf und ab warf, weil es noch immer dem Frühlingswind nachjagen wollte.
»Spar dir das für später, alter Freund. In Waes werden wir ein richtiges Rennen reiten, und dann wird es ernst. Ich brauche ein paar Saphire, um den Hals einer gewissen blauäugigen Dame damit zu schmücken.«
Maarken ritt in ruhigerem Tempo weiter und war kaum überrascht, dass er den Weg nach Whitecliff eingeschlagen hatte. Es lag etwas weiter im Landesinneren als Radzyn und war der Wohnsitz des Erben, sofern der verheiratet war. Chay hatte nie dort gelebt, denn er war bereits Herr von Radzyn, als er Tobin heiratete. Whitecliff wurde seit vielen Jahren von Kämmerern geführt. Aber wenn es nach Maarken ging, würde es ab dem Herbst wieder richtig bewohnt und seiner eigentlichen Bestimmung gerecht werden.
Er wusste, dass er es seinen Eltern schon lange hätte sagen müssen. Aber er konnte es ihnen nicht gestehen, dass er keineswegs vorhatte, sich in diesem Jahr in Waes eine der vielen Jungfrauen auszusuchen. Er hatte seine Braut nämlich schon längst gefunden. Oder vielleicht hatte auch sie ihn gefunden. Er war sich nicht ganz sicher, was davon zutraf, aber es war auch nicht weiter wichtig. Er war einfach glücklich, dass es so gekommen war. Schon der Gedanke an Hollis brachte ihn zum Lächeln, und dass diese Reaktion eher zu einem weit Jüngeren passte, kümmerte ihn nicht im Geringsten. Seit seiner Kindheit hatte er reichlich verliebte Dummköpfe um sich gehabt; vor allem seine Eltern konnten als verantwortlich dafür gelten, seine Vorstellungen von einer Liebesehe gefestigt zu haben. Sein Vater hatte über fünfzig Winter gesehen, und seine Mutter war nur wenige Jahre jünger, doch die Blicke, die sie austauschten, wenn sie sich unbeobachtet glaubten, waren unmissverständlich. Rohan und Sioned verhielten sich ebenso, desgleichen Walvis und Feylin, die in Remagev herrschten. Selbst der ernsthafte Prinz Chadric und Prinzessin Audrite hatten ein solches Vorbild abgegeben. Maarken hatte sich so etwas immer gewünscht: dies Lächeln, die heimlichen Blicke, selbst die Temperamentsausbrüche. Er wollte eine Frau, neben der er ebenso arbeiten wie schlafen konnte, der er seine Gedanken wie auch sein Herz anvertrauen konnte. Ohne eine solche Gemeinschaft wäre das Eheleben kaum etwas anderes, als jeden Morgen neben einer Fremden aufzuwachen.
Er errötete, als er daran dachte, wie oft er eben das getan hatte – und an den ersten Morgen, an dem er neben Hollis erwacht war. Es hätte nicht geschehen dürfen, und Andrade hatte geschäumt, als sie davon erfuhr. Doch er hatte sich wenig um die Wut seiner Tante geschert.
Er war neunzehn gewesen und keineswegs unerfahren. Sein Vater hatte ihm sogar einmal einen Brief von Prinz Lleyn gezeigt, in dem sich der alte Mann sarkastisch über Maarkens außerordentliche Anziehungskraft auf Frauen jeden Alters ausließ: Praktisch alle,
Weitere Kostenlose Bücher