Mondlaeufer
die in meinem Palast einen Rock tragen, sind seit seinem vierzehnten Lebensjahr hinter ihm her, und letztens ist er wohl nicht so schnell gerannt, wie er gekonnt hätte. Er scheint es sogar zu genießen, eingefangen zu werden. Chay hatte ihm den Brief erst gezeigt, als Maarken zur Schule der Göttin aufbrach, um sich zum Faradhi ausbilden zu lassen. Sie hatten darüber gelacht, Maarken mit tiefroten Wangen, Chay mit väterlichem Stolz.
Aber solche Geplänkel waren nur Versuche gewesen, bei denen aufflammende Begierde und Neugier rasch befriedigt wurde. Hollis hatte in ihm ein Feuer entfacht, das seit nunmehr sechs Wintern unablässig brannte.
Schon bald nach seiner Ankunft in der Schule der Göttin hatte Andrade entschieden, dass sein erster Ring, den er auf ungewöhnliche Weise erworben hatte, tatsächlich galt. Rohan hatte ihm den granatbesetzten Silberring während des Feldzugs gegen Roelstra übergeben, nachdem Maarken Feuer herbeigerufen hatte. Er hatte Andrade bewiesen, dass er den Ring verdiente, und sie hatte ihm einen schmucklosen Silberreif gegeben, den er mit dem Granat am rechten Mittelfinger tragen sollte. Er hatte in ihre blassblauen Augen gesehen und sie sagen hören, dass er anderntags in den Wald gehen und die Göttin über seine Zukunft als Mann befragen müsse. Zuvor jedoch, um Mitternacht, würde eine Faradhi -Frau zu ihm kommen und ihn zum Mann machen.
Theoretisch wusste man nicht, mit wem diese erste Begegnung stattfand. Der Versuch, es herauszubekommen, wurde in der Schule missbilligt, und außerdem war es sowieso nicht weiter wichtig. Die Göttin selbst verhüllte die Lichtläufer auf geheimnisvolle Weise und verbarg ihre Identität vor den Mädchen oder Jungen, die in dieser Nacht ihre Jungfräulichkeit verloren. Nur Faradh’im mit mindestens sieben Ringen beherrschten diese Kunst, nur diejenigen, denen die Verantwortung oblag, Mädchen zu Frauen und Knaben zu Männern zu machen.
Hollis hatte in jener Winternacht erst vier Ringe besessen. Manchmal fragte er sich, ob er es nicht in jedem Fall erraten hätte. Selbst in völliger Finsternis hatten seine Finger ihr goldenes Haar gefühlt. Maarken holte tief Luft, als könnte er den zarten Duft ihres Körpers wieder riechen.
Sprechen war verboten. Sie wussten das beide. Lippen waren nur zum Küssen und Liebkosen da, Stimmen nur, um verzückt aufzuschreien. Doch als es vorüber war und er noch klopfenden Herzens an ihrer Seite ruhte, flüsterte er ihren Namen.
Sie hielt den Atem an und versteifte sich. Maarken legte die Arme enger um sie und hielt sie fest, als sie ihm entschlüpfen wollte. »Nein«, flüsterte sie, »bitte nicht …«
»Du willst doch hierbleiben, so wie ich dich hier haben will.« Doch dann fügte er zögernd hinzu (er war doch noch sehr jung): »Oder?«
Sie zitterte etwas und nickte dann an seiner Brust. »Andrade wird mich umbringen.«
Maarken wurde schwindlig vor Glück. »Nur über meine Leiche«, erwiderte er leichthin, »aber sie wird mir kein Haar krümmen. Wir sind verwandt, ich werde Lichtläufer und Herr von Radzyn sein. Ich bin viel zu wichtig! Sie wird ein bisschen toben, aber das haben wir beide ja schon erlebt.«
Die Spannung wich von ihr. »Da wäre noch ein Problem. Es sollte deine Mannesnacht sein. Ich habe nur vier Ringe, also habe ich dich vielleicht nicht richtig eingeweiht. Ich fürchte, ich habe meiner Pflicht nicht Genüge getan, o Herr.«
Maarken blieb der Mund offen stehen, doch dann bemerkte er den Schalk in ihrer Stimme. Mit seiner sanftesten Stimme sagte er: »Ihr müsst mich noch einmal unterweisen, Herrin. Ich bin kein sehr guter Schüler. Es mag sogar sein, dass wir die Lektionen die ganze Nacht fortsetzen müssen.«
Sie vergaßen, dass um Mitternacht eine andere Frau in Maarkens Kammer kommen würde. Sie vergaßen alles über dem süßen Genuss ihrer Körper. Ihr Haar war ein goldener Fluss, der in der Dunkelheit ein eigenes Licht zu verbreiten schien; fast blind strich er die herrlichen Flechten aus ihrem Gesicht, fuhr die Konturen von Nase, Wangen und Brauen entlang, lernte ihr Gesicht durch seine Berührung kennen, wie er es seit Langem vom Ansehen kannte. Seine Hände erfuhren alles über sie, und er erkannte alle Farben ihres Körpers ebenso klar wie die Farben ihres Geistes. Es waren satte, leuchtende Farben von Saphir, Perle und Rubin, die sich um ihn legten, das unnachahmliche Muster einer wunderschönen, lichterfüllten Seele.
Sie lagen beieinander und küssten sich, als sich
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