Mondlaeufer
ernst geworden. »Es ist wichtig für mich, Maarken. So wichtig wie deine Ritterschaft für dich.«
Widerstrebend hatte er ihr zugestimmt. Jetzt aber betrachtete er die sechs glitzernden Ringe an seinen Fingern, während er Isulkians Zügel hielt, und fragte sich, warum er noch zögerte. Er konnte es seinen Eltern sagen oder auf das Rialla warten, wo sie Hollis selber treffen und ihren Wert erkennen würden. Andrade hatte Hollis in die Schule zurückgerufen. Das bedeutete, dass die junge Frau in Waes ihrem Gefolge angehören würde. Maarken war seiner Tante dankbar, aber auch argwöhnisch. Er kannte sie und wusste, dass sie nie etwas tat, ohne damit irgendetwas zu bezwecken. Wenn sie wollte, dass er Hollis heiratete, dann nicht, weil sie sich liebten. Sie hatte zwar nichts dagegen, dass sie glücklich waren, doch Andrade hatte sicher noch etwas anderes vor, und deswegen war ihm unwohl.
Auf seine Eltern konnte er noch nicht als Verbündete zählen, auch wenn sie immer sagten, dass sie ihn nur glücklich sehen wollten. Schließlich war er ihr ältester Sohn und Erbe, und das war selbst ohne die Verwandtschaft mit Pol eine wichtige Position. Er würde über den einzigen sicheren Hafen an der Wüstenküste herrschen, über den alle wichtigen Güter gingen: Pferde, Gold, Salz und Glasbarren wurden ausgeführt, Lebensmittel, Gebrauchsgegenstände und besonders die kostbare Seide wurden eingeführt. Die Pferde erzielten bei jedem Rialla höhere Preise, doch der wahre Reichtum Radzyns beruhte auf Handel. Maarkens Großvater war reich gewesen, sein Vater noch reicher, und er selbst vermochte kaum abzuschätzen, wie reich er selbst sein würde. Darum musste er eigentlich eine Frau heiraten, die ihm an Herkunft und womöglich Vermögen ebenbürtig war.
Hollis war eine ungewöhnliche Frau, doch sie war die Tochter von zwei einfachen Faradh’im aus der Schule der Göttin, die beide keine besondere Verwandtschaft aufweisen konnten. Ihre und Maarkens Kinder würden sicherlich die Gabe erben, da sie beide sie ja besaßen. Maarken hatte bereits seine Erfahrungen mit dem Argwohn und dem Neid, dem jemand ausgesetzt war, der sowohl Lichtläufer als auch Sohn einer einflussreichen Familie war.
Er lenkte sein Pferd die Straße entlang auf Whitecliff zu und hielt bei den Bäumen, die seine Mutter vor seiner Geburt hatte pflanzen lassen. Kühler Schatten umgab ihn, und er ließ sich von Isulkians ungeduldigem Getänzel nicht beeindrucken. Durch die Bäume hindurch konnte er das Haus sehen, seine von blühendem Wein geschmückten, massiven Steinmauern. Ställe, Weiden, Gärten, ein Sandstrand am Fuß der Klippen, ein gemütliches, kleines Heim – das alles würde ihm gehören, und er würde Hollis hierherführen, bevor die Zeit der Stürme begann. Sie würden diesen Winter damit verbringen, am warmen Kamin Wind und Regen zu lauschen. So hatte er es sich immer vorgestellt, schon als Junge, wenn er mit seinem Zwillingsbruder Jahni hierher geritten war, um Hausherr zu spielen. Sie waren viel zu klein gewesen, um so etwas Absonderliches wie Frauen in ihre Spiele einzuschließen. Sein Bruder war schon seit Jahren tot, und hin und wieder fragte sich Maarken, wie es gewesen wäre, wenn sie beide mit ihren Gemahlinnen in diesem schönen, alten Haus gelebt hätten, wenn ihre Kinder durch die Zimmer getobt wären oder im Hof Drachen gespielt hätten. Er lächelte traurig und ritt weiter.
Ganz gleich, was Andrade plante, sie würde es bekommen. Sie bekam es immer. In der Hoffnung auf einen Thronerben mit Faradhi -Gaben hatte sie ihre Schwester mit Prinz Zehava verheiratet. Stattdessen hatte Maarkens Mutter die Gabe geerbt. Dann hatte Andrade Sioned und Rohan zusammengebracht, und dieses Paar hatte einen Sohn, der beides war: Faradhi und Hoheprinz. Sie hatte sie alle zusammengeführt wie preisgekrönte Hengste und Stuten. Maarken überlegte, ob sie wohl für Pol trotz seiner Jugend schon ein Mädchen im Blick hatte. Sie würde nichts gegen eine Verbindung von Maarken mit einer Lichtläuferin einzuwenden haben, da hierdurch die nächste Generation mit Faradhi -Gaben gesichert wäre. Doch er wusste auch, wie sehr sich die zarten, eleganten Finger seiner Großtante um sein Leben schließen würden, wenn er nicht achtgab. Möglicherweise war das auch der Grund für das kühle Verhältnis zwischen ihr und Sioned. Andrade hatte sie und Rohan benutzt, um ihren Lichtläufer-Prinzen zu bekommen, und beide lehnten sich dagegen auf. Schlimmer noch: Seit
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