Mondlaeufer
weißt genauso gut wie ich, dass Sioned ihm niemals freiwillig sagen wird, dass sie nicht seine wahre Mutter ist.«
»Sie ist seine wahre Mutter! Bis auf die Tatsache, dass sie ihn nicht geboren hat, ist Pol in jeder Hinsicht Sioneds Sohn, nicht der von Ianthe.«
Chay drückte ihre Hand. »Mich brauchst du nicht zu überzeugen. Aber wie wird er reagieren, falls er es von jemand anderem als von ihr oder Rohan erfährt? Die Gefahr wird von Jahr zu Jahr größer.«
»Kleiner«, widersprach Tobin störrisch. »Es gab niemals auch nur die kleinste Andeutung darüber. Wenn es jemand wüsste, hätte er längst geredet.«
»Es gibt Wissen, und es gibt Beweise«, erinnerte Chay sie. »Ich sorge mich um Letztere.«
»Woher sollen denn Beweise kommen!«, zürnte sie. »Die wenigen, die damals in Skybowl und Stronghold waren, lieben uns und ihn und werden immer dasselbe sagen wie Sioned und ich. Und die in Feruche – pah!« Mit einem arroganten Schulterzucken tat die Prinzessin den Gedanken ab. »Was zählt das Wort von ein paar Dienern gegen das von zwei Prinzessinnen?«
Chay wusste, dass so ein Anflug von Hochmut bei ihr bedeutete, dass sie sich bedroht fühlte. »Nehmen wir einmal an«, schlug er trotz der warnenden Blitze aus ihren Augen vor, »gesetzt den Fall, dass die Frauen noch leben, die Ianthe in jener Nacht geholfen haben, die das Baby gewaschen und die Wiege geschaukelt haben …«
»Man würde ihnen keinen Glauben schenken.«
»Dann zähl nach, wie viel hundert Leute wussten, dass Rohan in Feruche festgehalten wurde. Und wie viele von denen die Tage zählen können, ohne ihre Finger zur Hilfe zu nehmen.«
Tobin ließ sich nicht beeindrucken. »Sie war früh dran. Jeder wird glauben, dass sie schon schwanger war, ehe sie Rohan einfing.«
»Und wer soll dann der Vater gewesen sein?«
»Keine Ahnung. Und wen kümmert’s schon? Jeder glaubt, dass das Baby mit ihr im Feuer umkam, also ist es egal, wessen Kind es war.«
Chay schüttelte den Kopf. »Die drei älteren Halbbrüder sind noch am Leben. Man hatte sie damals sicher hereingeführt, damit sie den jüngsten Sohn ihrer Mutter sehen konnten. Sie sind keine Dienstleute, Tobin. Sie sind die Söhne einer Prinzessin und dreier Lords des Hochadels. Und was ist, wenn Sioned beweisen soll, dass sie ein Kind geboren hat? Sie kann an ihrem Körper kein Zeichen aufweisen, das dafür spräche.«
Mit einem triumphierenden Lächeln sagte Tobin: »O doch, sie kann. Myrdal kennt Kräuter, die bei einer Frau Milch fließen lassen, selbst wenn sie nicht geboren hat. Und das Stillen verändert die Brüste einer Frau.«
»Daran habe ich nicht gedacht«, gab er zu. »Aber trotzdem kann irgendjemand dich und Sioned und Ostvel in jener Nacht in Feruche gesehen haben, als das Schloss in Flammen aufging.«
»Du fürchtest dich vor Schatten wie ein Lichtläufer mit dem ersten Ring, Chay.«
Er runzelte die Stirn und sah sie an: »Du findest also nicht, dass man es Pol sagen sollte, nicht wahr? Du würdest das Geheimnis ewig bewahren. Verstehst du nicht, dass wir es ihm sagen müssen? Damit er es nie durch Gerüchte erfahren muss, die ihn verletzen würden und ihn an seiner Identität zweifeln ließen. Und, was noch schlimmer ist, solche Gerüchte könnten alles erschüttern, was Rohan bis heute aufgebaut hat. Denk doch an diesen Unsinn über den angeblichen Sohn von Roelstra!«
»Chay, genau das ist es: Unsinn. Wenn er es wagt, beim Rialla aufzutauchen, wird ihn ganz Waes auslachen. Und dasselbe wird passieren, wenn es jemals Gerüchte über Pol gibt«, schloss sie.
»Du bist genauso stur und blind wie Sioned!«
»Stur bestimmt. Aber nicht blind. Ich verstehe, was du meinst. Aber ich sehe nicht ein, warum man es Pol jemals sagen sollte. Sein ganzes Selbstverständnis gründet sich auf seine Abstammung von seinem Vater, dem Hoheprinzen, und die Faradhi -Gaben, die ihm anscheinend Sioned vererbt hat. Wie willst du es einem Kind erklären, dass es der Enkel von jemandem wie Roelstra ist – oder dass damals sein Vater seinen Großvater getötet hat?«
»So etwas sagt man einem Kind wirklich nicht. Aber wenn er erwachsen ist und zum Ritter geschlagen wurde, mit ein paar selbsterworbenen Lichtläufer-Ringen …«
»Nein. Es gibt keinen Grund dafür.«
Chay kannte seine Frau gut genug, um zu wissen, dass weitere Diskussionen sinnlos waren. Er erhob sich, zog sie an sich, und sie gingen zurück zur Burg.
»Aber du stimmst mir doch wenigstens darin zu«, sagte er, »dass er
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